Der 207-köpfige EU-Zukunftskonvent tagt seit nunmehr einem Jahr und nähert sich immer weiter seinem Ziel, welches bekanntlich in der Ausarbeitung einer europäischen Verfassung besteht.1 Diese soll die existierenden Verträge zusammenfassen und vereinfachen und dadurch sowohl die Effizienz der auf 25 Mitglieder erweiterten Union sichern als auch das europäische Normengefüge für den Bürger durchschaubar und verständlich machen. Überhaupt sind die Bürger wieder mehr in den Mittelpunkt zu stellen, nur wenn sie sich mit der europäischen Idee identifizieren und diese unterstützen, kann die Integration ein Erfolgsprojekt bleiben. Die feierliche Proklamation der EU-Grundrechtecharta in Nizza bedeutete einen ersten Schritt in Richtung Bürgernähe, der Verfassungskonvent geht diesen Weg nun weiter. Neben strukturellen Inhalten wie Institutionenreform und Vereinfachung der Rechtsetzungsverfahren und Rechtsetzungsinstrumente, geht der Konvent auch den Wünschen und Ängsten der Bürger auf den Grund. Dazu gehören vor allem Fragen der sozialen Sicherheit, der Sicherung von Arbeitsplätzen sowie der Kranken- und Altersversorgung.2 Schon im Grundrechtekonvent setzte man sich mit diesen Fragen, sowie mit der Möglichkeit, das Europäische Sozialmodell im Grundrechtskatalog festzuschreiben, intensiv auseinander. Damals fand man zu der Lösung, die Position von einklagbaren Rechten für klassische Grundrechte zu reservieren und soziale Rechte vor allem in der Formulierung von Staatszielbestimmungen in die Charta aufzunehmen.3 Der gegenwärtige Konvent griff die Problematik der Verankerung des Europäischen Sozialmodells in der Verfassung – unabhängig von den Bestimmungen der Grundrechtecharta – wieder auf. Der Ausgang dieser Diskussion ist derzeit noch ungewiss, warum und wie sich der Verfassungskonvent mit dieser Frage beschäftigt und welche Gefahren damit verbunden sein können, sei hier kurz erklärt.   Die Phase des Zuhörens Gemäß dem Vorschlag seines Präsidenten, Valérie Giscard d’Estaing, sind die Arbeiten des Konvents in drei Phasen gegliedert. Im Anschluss an die Eröffnungssitzung vom 28. Februar 2002 begann die so genannte Phase des Zuhörens, welche dem Dialog der Konventsmitglieder untereinander sowie des Konvents mit den Bürgern gewidmet war. Schon in der ersten regulären Sitzung, wo es um die Erwartungen an das zukünftige Europa ging, kam dessen soziale Dimension zur Sprache.4 Die Forderung nach einer besseren Abstimmung von Wirtschafts- und Sozialpolitik zog sich in weiterer Folge wie ein roter Faden durch viele der Debatten, sowohl im Plenum als auch in den ab Mai tätigen Arbeitsgruppen. Im Rahmen des Dialogs mit der Zivilgesellschaft, welcher Mitte Juni 2002 in einer eigenen Plenarsitzung gipfelte, fanden soziale Aspekte und die diesbezüglichen Erwartungen der Bürger umfassende Behandlung. Zur Strukturierung der Debatte hatte man im Vorfeld des Plenums acht informelle Kontaktgruppen unter Leitung von Mitgliedern des Konventspräsidiums eingerichtet. Diesen war die Aufgabe übertragen, die unterschiedlichen Themenbereiche für die Plenardiskussion vor- und aufzubereiten, sie standen sowohl NGOs als auch Privatpersonen offen. Jene Gruppe, welche sich mit den sozialen Perspektiven beschäftigte, präsentierte im Plenum folgende Forderungen als Ergebnis ihres Dialogs5: ◗ Stärkere Stellung der EU-Grundrechtecharta ◗ Effektive Gleichstellung von Männern und Frauen durch Verankerung als Zielbestimmung in der Verfassung ◗ Ausgleich zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik, insbesondere durch Förderung des Lissabon-Prozesses ◗ Stärkere Betonung des sozialen Dialogs ◗ Beibehaltung des europäischen Sozialmodells Auch im Schlussdokument des Jugendkonvents6, welcher im Juli 2002 parallel zum Verfassungskonvent tagte und welchem ähnliche inhaltliche Aufgaben gestellt waren, fand sich der Wunsch, Europa sozialer zu gestalten. Die Jugendlichen gingen in ihren Forderungen jedoch ein Stück weiter als die in der sozialen Kontaktgruppe vertretenen NGOs. Sie stellten unter anderem fest, dass die soziale Absicherung Bestandteil der europäischen Identität geworden sei und forderten gemeinschaftliche Rechtsvorschriften im Bereich der Sozialpolitik und der Chancengleichheit. Auch eine Koordinierung der Lohnpolitiken und der Abschluss unionsweit anerkannter Tarifverträge wurden befürwortet. Diese Forderungen gehen zwar eindeutig über die Kompetenzen der EU hinaus, sie zeigen aber deutlich, dass die nach wie vor bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede in Europa gerade von Jugendlichen besonders intensiv wahrgenommen werden und viele, von den Politiken ihrer Nationalstaaten Enttäuschte, große Hoffnungen in die EU setzen. Dass diese jedoch nur fördernd und nicht regulierend tätig werden kann, haben die Jugendlichen bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit sehr wohl erkannt, dort sprachen sie sich für leistungsfähigere EU-Strategien aus. Bei den grundlegenden Zielen setzte sich der Jugendkonvent für die Erwähnung der nachhaltigen Entwicklung ein, zudem sollten Wirtschafts- und Sozialpolitik besser aufeinander abgestimmt werden und so zur Steigerung der Erwerbsquote – bei gleichzeitiger Wahrung der Grundrechte der Arbeitnehmer – beitragen. Diese beiden Veranstaltungen waren ebenso wie das Internetforum des Konvents7 äußerst wichtig, um die Erwartungen der Bürger auszuloten. Dass es in den Debatten nicht ausschließlich um soziale Fragen ging, versteht sich von selbst, dass diese aber andererseits beinahe jedes Mal zur Sprache kamen, auch. Der Konvent konnte sich bis zum Sommer ein umfassendes Bild von den Wünschen und Ängsten der Bürger machen; die Einflechtung dieser Erwartungen in konkrete Dokumente und Textvorschläge wurde in den folgenden Phasen in Angriff genommen.   Die Analysephase Die zweite Phase des Konvents begann nach der Sommerpause. Sie diente, wie der Name schon sagt, der Analyse der bis dahin erzielten Ergebnisse. Als Basis für die Aussprachen im Plenum wurden die Schlussberichte der elf Arbeitsgruppen herangezogen, welche in zwei Wellen, inklusive einem Nachzügler, tätig waren. Für die gegenständliche Betrachtung interessieren vor allem die Arbeiten zweier Gruppen.   Arbeitsgruppe Ordnungspolitik Unter dem Vorsitz des ehemaligen Präsidenten des Europaparlaments, Klaus Hänsch, tagte diese Gruppe von Juni bis Oktober 2002 und sollte sich laut ihrem Mandat vorwiegend mit Fragen der Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik beschäftigen. Da aber Wirtschaftspolitik eng mit Sozial- und Beschäftigungspolitik verbunden ist, nutzten einige Mitglieder die Gelegenheit, eine sozialpolitische Diskussion zu initiieren und damit ihr Missfallen über das Fehlen einer eigenen Arbeitsgruppe für soziale Fragen zum Ausdruck zu bringen. Der Schlussbericht der Gruppe enthielt schließlich nur wenige neue Vorschläge zur Wirtschaftsverfassung im eigentlichen Sinn, hingegen eine nicht unbeträchtliche Zahl von Verweisen sozialpolitischen Inhalts. Einzig bei der Notwendigkeit, die wirtschaftlichen und sozialen Ziele in die Verfassung aufzunehmen, war man einstimmiger Ansicht, bei den Kernpunkten des Mandats konnten nur mittelmäßige Ergebnisse erzielt werden, welche vorwiegend auf einem Festhalten am status quo basierten.8 Im Hinblick auf die sozialen Aspekte der Verfassung wurde vorgeschlagen, nachhaltiges Wachstum, Vollbeschäftigung, sozialen und territorialen Zusammenhalt sowie soziale Marktwirtschaft als Ziele der Union zu definieren. Einige Mitglieder setzten sich dafür ein, das Mandat der Europäischen Zentralbank um die Ziele Wachstum und Beschäftigung zu erweitern. Wie Klaus Hänsch bei der Präsentation der Ergebnisse im Plenum zutreffend bemerkte, hatte die Arbeitsgruppe die Konfliktlinien des Konvents deutlich gemacht. Die Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik, welche jeden Einzelnen unmittelbar berühren und nicht nur die Zukunft der EU, sondern die Zukunft aller Bürger beeinflussen, konnten nicht emotionslos diskutiert werden – die Suche nach konsensfähigen Lösungen musste denn auch länger dauern als das Mandat einer Arbeitsgruppe.   Sozialdebatte im Konvent Im Anschluss an die Vorstellung des Berichts der Arbeitsgruppe Ordnungspolitik und die dazugehörige Debatte stand eine gesonderte Aussprache zur sozialen Dimension Europas auf der Tagesordnung. Diese fand auf dringenden Wunsch zahlreicher Konventsmitglieder statt9, die Verknüpfung der beiden Punkte war aufgrund der Komplementarität der Themenbereiche nahe liegend. Die Motivation der Konventsmitglieder, diese Debatte zu führen und ihren konkreten Ablauf mitzubestimmen, gründete in dem Bewusstsein, dass für den eigentlichen Souverän, also den europäischen Bürger, soziale Themen im Vordergrund stehen. Der Konvent musste diese Fragen aufgrund seiner Verpflichtung dem Wähler gegenüber aufgreifen und eine ernsthafte Auseinandersetzung führen. Quintessenz der Aussprache war die Erkenntnis, dass Europa mehr als ein Binnenmarkt sein und einen praktikablen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Zielsetzungen und sozialem Schutz finden müsse. Soziale Werte und Ziele sollten in der Verfassung an prominenter Stelle verankert werden und dadurch die Bedeutung des europäischen Sozialmodells veranschaulichen. Gleichzeitig müsse aber eine klare Unterscheidung zwischen Sozialpolitik auf europäischer Ebene und auf Ebene der Mitgliedstaaten getroffen und ehrlich ausgesprochen werden, dass keine Vereinheitlichung der sozialen Systeme gewünscht sei. Beinahe geschlossen forderten die Redner die Einsetzung einer neuen Arbeitsgruppe, um diesen wichtigen Themenbereich – und vor allem dessen verfassungsrechtliche Implikationen – angemessen analysieren zu können.   Arbeitsgruppe Soziales Europa Anfang Dezember 2002 nahm der Nachzügler unter den Arbeitsgruppen seine Tätigkeit auf. Unter dem Vorsitz des griechischen Europaparlamentariers Giorgios Katiforis hatten die rund 30 aktiven Mitglieder zwei Monate Zeit, Antworten auf die sieben Fragen des Mandats10 zu finden. Die Gruppe hatte zu klären, um welche Werte und Ziele die Verfassung erweitert werden soll, ob die Zuständigkeiten der Union im sozialen Bereich ausreichend sind, welchen Platz die Methode der offenen Koordinierung in der Verfassung haben könnte, ob Wirtschafts- und Sozialpolitik besser zu koordinieren sind, ob Beschlüsse häufiger mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden können und welche Rolle den Sozialpartnern zukommen soll. In ihrem Schlussbericht kam die Gruppe zu folgenden Ergebnissen: ◗ Die Werte der Union sollten kurz und präzise formuliert werden. Neben den bereits vom Präsidium11 vorgeschlagenen Werten Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit trat die Gruppe dafür ein, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichheit, insbesondere die Gleichstellung von Männern und Frauen, in Artikel 2 der Verfassung aufzunehmen. ◗ Die sozialen Ziele der Union sollten den wirtschaftlichen Zielen gleichgestellt werden. Die Gruppe forderte deshalb eine umfassende Aufzählung in Artikel 3 der Verfassung. Diese sollte unter anderem die Förderung von Vollbeschäftigung, sozialer Gerechtigkeit und sozialem Frieden, der nachhaltigen Entwicklung, des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts, der sozialen Marktwirtschaft, des lebenslangen Lernens, eines hohen Maßes an sozialem Schutz und eines hohen Gesundheitsniveaus, der Gleichstellung von Männern und Frauen sowie der Rechte der Kinder festschreiben. Einige dieser Vorschläge finden sich auch in Artikel 3 des Präsidiumsentwurfs, dort wird zudem klargestellt, dass die Verfolgung der Ziele der Union abhängig ist vom Umfang der ihr im jeweiligen Bereich übertragenen Zuständigkeiten. ◗ Bei den Zuständigkeiten prüfte die Gruppe, ob Art 137 Abs 1 EGV in seiner derzeitigen Fassung belassen werden soll oder ob die sozialen Kompetenzen der EU zu erweitern bzw. einzuschränken sind. In dieser Frage konnte kein Konsens erzielt werden, die Debatte im Plenum brachte aber zu Tage, dass die Mehrheit der Konventsmitglieder keine Erweiterung der Zuständigkeiten in diesem Bereich wünscht. Sehr wohl sollte es eine Änderung im Anwendungsbereich von Art 152 EGV geben, um eine Rechtsgrundlage für EU-Maß nahmen gegen übertragbare Krankheiten zu schaffen. ◗ Die vom Europäischen Rat in Lissabon eingeführte Methode der offenen Koordinierung, welche der informellen und flexiblen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten dient, sollte bei den Instrumenten der Union definiert werden. Die Methode wird in unterschiedlichen Formen und jedes Mal in einem Ad-hoc-Verfahren, beispielsweise in den Bereichen Beschäftigung, allgemeine und berufliche Bildung, Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, Forschungspolitik und Unternehmenspolitik angewandt. Die eine Verankerung in der Verfassung befürwortenden Mitglieder vertraten die Auffassung, dass dadurch die Transparenz der Methode erhöht werden könnte, vor allem weil man von vielen verschiedenen Anwendungsformen zu einer einzig gültigen Praktik gelangen würde. Dies wäre unter anderem ein Schritt in Richtung Bürgernähe und würde dem Mandat von Laeken entsprechen. ◗ Wie beim Europäischen Rat in Barcelona beschlossen, soll eine bessere Koordinierung von Wirtschafts- und Sozialpolitik dadurch erreicht werden, dass die Zeitpläne für die Festlegung der wirtschaftspolitischen Leitlinien und des jährlichen Beschäftigungspakts aufeinander abgestimmt werden. Die Kohärenz zwischen diesen Politikbereichen sollte durch die Frühjahrstagung des Europäischen Rates garantiert werden. ◗ Die Frage, ob es zu einer Ausdehnung von Mitentscheidung und Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit kommen soll, konnte weder in der Arbeitsgruppe, noch im Plenum beantwortet werden. Viele Redner warnten vor der Gefahr der absoluten Blockade, sobald die Union der 25 einstimmig beschließen muss, andere verwiesen auf den Kompromiss von Nizza, wonach man einstimmig von der Einstimmigkeit abgehen kann. Auch wurde eine überqualifizierte Mehrheit für besonders sensible Bereiche vorgeschlagen, keine dieser Positionen fand jedoch ausreichende Unterstützung. ◗ Bei der Festlegung der Rolle der Sozialpartner herrschte weitgehend Einigkeit. Insbesondere die herausragende Bedeutung des sozialen Dialogs für das europäische Sozialmodell sollte in der Verfassung Erwähnung finden. Diese Ergebnisse bildeten den Ausgangspunkt für die Debatte im Plenum, wo sich auch mahnende Stimmen zu Wort meldeten. Denn trotz aller Euphorie, welche die Idee eines sozialeren Europa vielleicht auslösen mag, muss man realistisch bleiben und sich fragen, welche Aufgaben die EU tatsächlich wahrnehmen kann und ob nicht zu hoch gesteckte Ziele falsche Hoffnungen wecken.   Europäisches Sozialmodell in Verfassungsrang? Man darf nicht vergessen, dass der Konvent eine Verfassung, also die rechtliche Grundordnung Europas, ausarbeitet. Dabei muss ein für die Bürger lesbarer Text entstehen, welcher die bestehenden Verträge entwirrt und klassische konstitutionelle Regelungen, wie Grundrechte, Gewaltenteilung und Kompetenzverteilung, umfasst. Gerade bei den Grundrechten, den Werten und den Zielen stellte sich in Verfassungsdiskussionen der jüngsten Zeit immer wieder die Frage, inwieweit soziale Bestimmungen in ein solches Dokument aufzunehmen sind.12 Es ist klar, dass sich Europa auch in Zukunft vom amerikanischen Hire-and-fire-Modell unterscheiden und zum System der sozialen Marktwirtschaft bekennen muss. Doch ist dazu wirklich das Mittel der Verfassungsbestimmung das geeignete? Viele der verführerisch klingenden sozialen Ziele bergen die Gefahr, dass sie mit den Instrumenten der EU nicht umgesetzt werden können und letztendlich die Asymmetrie zwischen großen Zielen und schwachen Instrumenten der positiven Grundintention zuwiderläuft. Bei genauerem Hinsehen und dem Vergleich mit nationalstaatlichen Regelungen stößt man auch auf die technische Unmöglichkeit, Fragen der sozialpolitischen Ausstattung durch Verfassungsrecht sicherzustellen. Ein Blick auf den politischen Alltag in den Mitgliedstaaten zeigt deutlich, dass schon im nationalen Bereich soziale Gesetzgebung immer nur mit knappen Mehrheiten möglich ist und dass gerade jene Länder, deren Verfassungen soziale Grundrechte kennen, bei der Ausgestaltung dieser Rechte und den damit einhergehenden tatsächlichen Ansprüchen der Bürger weit hinter Staaten zurückbleiben, welche Sozialgesetzgebung einfachgesetzlich betreiben und oft auf regionaler oder kommunaler Ebene umsetzen.13 Die Verlagerung von sozialpolitischen Agenden auf Unionsebene würde jeglicher Denklogik widersprechen und letztendlich nur dazu dienen, nicht erfüllbare Erwartungen zu wecken. Ein Punkt, den es in diesem Zusammenhang auch zu bedenken gilt, betrifft die Frage der Finanzierung sozialer Zielsetzungen. Denn wenn die Förderung bestimmter Ziele Eingang in die Verfassung findet, müssen dafür auch Mittel zur Verfügung gestellt werden. Hier tut sich eine weitere Kluft in der Debatte auf – einerseits sollte die EU Vollbeschäftigung und soziale Sicherheit fördern, andererseits dürfen die nationalen Budgets nicht durch zusätzliche EU-Ausgaben belastet werden. Dieser Spagat ist nur zu bewerkstelligen, wenn klargestellt wird, dass die EU zwar voll und ganz hinter den Zielen steht, diese aber in keiner Weise selbst umsetzen kann.   Schlussbemerkungen Die bisherigen Diskussionen haben gezeigt, dass sich der Konvent den politischen Realitäten nicht verschließen kann. Seine eigentliche Aufgabe aber ist die eines Verfassungsgebers, primär muss er sich mit verfassungsrechtlich relevanten Inhalten auseinander setzen. Dieser Erkenntnis folgte man in den Debatten zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, zur Verteidigungspolitik und zu den für den Bürger ebenfalls sehr wichtigen Bereichen Justiz und Inneres. Hier wurde konkrete Politik besprochen und dennoch stand es nie außer Zweifel, sich auf Themen wie Kompetenzverteilung oder Verfahren und Instrumente der Rechtsetzung zu konzentrieren. Auch bei den noch zu erwartenden Diskussionen über die sozialen Aspekte Europas sollte man sich diese Ergebnisse in Erinnerung rufen und von konkreter Politikgestaltung absehen.14 Soziale Werte und Ziele sind ein positives Signal und sie machen in einer Verfassung guten Sinn. Die entsprechenden Artikel dürfen aber nicht den Charakter einer Wunschliste annehmen, sie müssen verständlich und übersichtlich bleiben und in gewisser Weise auch die Grenzen der EU aufzeigen. Nur wenn Europa seinen Bürgern mit Ehrlichkeit begegnet, wird auch die erweiterte EU handlungsfähig sein können. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Rack lehrt Öffentliches Recht und Europarecht an der Karl-Franzens-Universität Graz und ist Mitglied des Europäischen Parlaments.

  • 1.  Zu Arbeit und Organisation des Konvents in seiner Anfangsphase vgl. Rack/Fraiß, Der Konvent zur Zukunft Europas – ein neues Modell demokratischer Entscheidungsfindung, JRP 2002, 219.
  • 2.  Dass diese von den europäischen Bürgern als vorrangig betrachtet werden, belegen u.a. die regelmäßig erscheinenden Eurobarometer. Vgl. Eurobarometer 56.1, 57 und 58, http://europa.eu.int/comm/public_opinion/
  • 3.  Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl 2000/C 364/01 v 18. 12. 2000.
  • 4.  CONV 14/02. Die im gegenständlichen Artikel zitierten Dokumente des Konvents finden sich unter http://european-convention.eu.int.
  • 5.  CONV 167/02.
  • 6.  6 CONV 205/03.
  • 7.  http://european-convention.eu.int/forum.
  • 8.  CONV 357/02. Geld- und Währungspolitik sollen auf EU-Ebene zentralisiert bleiben, Wirtschafts-, Sozial-, Beschäftigungs-, Steuer- und Haushaltspolitik sollen im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten belassen werden; die Formen der Koordinierung – zwischen der EU und den Mitgliedstaaten einerseits und den einzelnen Politikbereichen andererseits – sind zu überdenken und stärken.
  • 9.  Nach der Sommerpause forderte ein gutes Fünftel der Mitglieder eine Sozialdebatte sowie die Einsetzung einer entsprechenden Arbeitsgruppe, vgl. CONV 300/02. Laut Geschäftsordnung des Konvents (CONV 9/02) muss das Präsidium den Anträgen auf Aufnahme neuer Tagesordnungspunkte bei ausreichender Unterstützung entsprechen, über die Einsetzung von Arbeitsgruppen entscheidet es in eigener Verantwortung.
  • 10.  CONV 421/02.
  • 11.  Entwurf der Artikel 1 bis 16 des Verfassungsvertrags, CONV 528/03.
  • 12.  Vgl. hierzu die äußerst kritische Auseinandersetzung von Meinhard Heinze im Zusammenhang mit der Ausarbeitung der EU-Grundrechtecharta: Heinze, Soziale Grundrechte in Europa – Chancen und Risiken, in Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ua (Hrsg.), Soziale Grundrechte in der Europäischen Union (2000/2001) 227.
  • 13. 13 Vgl. Europäisches Parlament, Generaldirektion Wissenschaft, Arbeitsdokument, Soziale Grundrechte in Europa, Reihe soziale Angelegenheiten SOCI 104 DE (1999) 13 ff.
  • 14.  Die Anfang März 2003 abgehaltene Debatte über die Artikelentwürfe des Präsidiums hat gezeigt, dass die Position der Sozialpolitik bei den zwischen Union und Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten unumstritten ist. Die Union besitzt also prinzipiell Gesetzgebungskompetenz, ist aber nicht verpflichtet, davon Gebrauch zu machen.
Weitere Details zum Artikel: 
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Rack lehrt Öffentliches Recht und Europarecht an der Karl-Franzens-Universität Graz und ist Mitglied des Europäischen Parlaments.Maga. Daniela Fraiß ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Europäischen Parlament.