I. Mehr als vier Jahre nach ihrer Einsetzung hat die Historikerkommission der Republik Österreich am 24. Februar 2003 ihren Gesamtbericht der Öffentlichkeit präsentiert. An diesem Vorhaben haben sich neben den Mitgliedern der Kommission in 47 Projekten 160 Forscher und Forscherinnen beteiligt. Damit wurde in der österreichischen Wissenschaftslandschaft ein wichtiger – und angesichts des Themas keineswegs überdimensionierter – Schwerpunkt gesetzt. Wenn auch primär ein geschichtswissenschaftliches Unternehmen, ist die Historikerkommission unter verschiedenen Aspekten – Themen, Methoden, beteiligte Forscher, Resultate – auch für die juristische Welt von hoher Relevanz. Im Folgenden soll über einige dieser Aspekte in aller Kürze berichtet werden. Dieser Artikel soll nicht in allgemeiner Weise über die Historikerkommission informieren. Alle Berichte sind derzeit von der Homepage abrufbar und werden in den nächsten Monaten sukzessive im Verlag Oldenbourg erscheinen.   II. Die juristische Dimension der Historikerkommission ergab sich bereits aus ihrer Grundkonzeption, waren doch auf verschiedenen Ebenen Juristen als Sachverständige beigezogen. Dies entspricht einem bemerkenswerten Wandel in der Zusammenarbeit zwischen Historikern und Juristen im hier maßgeblichen Bereich: Während in der justizmäßigen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in den 60er Jahren Historiker als Sachverständige in strafgerichtlichen Verfahren tätig wurden, – wenn auch in Österreich im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland nur in sehr geringem Ausmaß – so wirken heute Juristen als Sachverständige an geschichtswissenschaftlichen Projekten mit. Der Untersuchungsgegenstand der Historikerkommission besteht nicht nur aus bloßen Tatsachen, sondern auch aus Rechtsnormen, die schließlich Deutungskonstruktionen sind. Dies gilt schon für den Vermögensentzug während der NS-Zeit. Es entsprach gerade der Eigenart des NS-Staates, seine Angriffe auf mehreren Ebenen zu führen.1 So standen auch unter damaligem Strafrecht rechtswidrige Maßnahmen der Beraubung und gesetzlich ungedeckte Maßnahmen des staatlichen Vermögensentzugs neben minutiös und pedantisch geregelten Verfahren der Vermögensentziehung und Neuinterpretationen geltender allgemeiner Gesetze im nationalsozialistischen Geist durch die Justiz. Unter den rechtsstaatlichen Verhältnissen der Zweiten Republik, in der dann – wie auch immer – „Rückstellungen“ bzw. „Entschädigungen“ erfolgten, war dies notwendigerweise das Ergebnis der Erlassung und Vollziehung von Gesetzen. Vor allem für die zweite Phase trat daher der juristische Aspekt sehr deutlich in den Vordergrund. Die Historikerkommission entschloss sich daher dazu, vier Hauptgebiete von vornherein auch juristisch-dogmatisch zu analysieren, nämlich die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Republik Österreich zu Rückstellung und Entschädigung nach dem Zweiten Weltkrieg, die Rückstellungsgesetzgebung insbesondere aus zivilrechtlicher Sicht, das Entschädigungsrecht aus sozialrechtlicher Perspektive und das Staatsbürgerschaftsrecht sowie weitere Verwaltungsrechtsmaterien. Dazu ergänzend kamen noch Analysen des einschlägigen Steuerrechts und des Wertpapierrechts. Die Aufgabe der juristischen Gutachter bestand dabei darin, eine kritische Analyse jener Rechtsnormen zu liefern, die sich nach 1945 mit der Problematik der Rückstellung entzogener Vermögen bzw. der Entschädigung beschäftigten. Diese juristischen Gutachten bedeuteten nun nicht, dass deshalb die Historikerkommission ihre historische Perspektive verlor. Aber einige der von der Historikerkommission behandelten Gegenstände gehörten nicht zur Sphäre des „Seins“, sondern zu jener des „Sollens“. Damit gelangt man zur Problematik des positiven Rechts. Juristen sind auf das „positive Recht“ bezogen; sie müssen dafür nicht einmal ausgeprägte „Rechtspositivisten“ sein. Auch wenn ein Jurist letztlich für sein Handeln naturrechtliche oder ethische Maßstäbe gelten lässt, muss er zuvor das positive Recht beschreiben, um es überhaupt bewerten zu können. Der gegen den Rechtspositivismus bisweilen erhobene Vorwurf, dass er das positive Recht nicht nur beschreibe, sondern auch rechtfertige, ist unzutreffend. In einem bestimmten Sinn stellt das positive Recht eine Tatsache dar, freilich normativer Art. Für die Feststellung genau dieser Tatsachen dienen Juristen als Sachverständige in Historikerkommissionen. Selbstverständlich war diese rechtsdogmatische Betrachtung einzelner Rechtsgebiete nicht der einzige Aspekt, für den sich die Historikerkommission interessierte. Zwei weitere Perspektiven mussten dazutreten: Auf der einen Seite erwies es sich als äußerst relevant, die Entstehungsgeschichte etwa der Rückstellungsgesetzgebung darzustellen, zumal vor allem sozialrechtliche Entschädigungsgesetze – hier insbesondere das OFG – sehr oft novelliert wurden. Auf der anderen Seite kann eine dogmatische Darstellung eines Rechtsgebietes die Wirksamkeit des Rechts, also seine tatsächliche Vollziehung, nur sehr beschränkt darstellen. Es war daher notwendig, aus den Gerichts- und Verwaltungsakten heraus die tatsächlich durchgeführten Verfahren systematisch zu untersuchen.2 Schließlich blieben die juristischen Gutachter nicht dabei stehen, das positive Recht bloß zu beschreiben. Das positive Recht wurde – allerdings methodisch explizit ausgewiesen – auch bewertet. Dazu wurden verschiedene Maßstäbe herangezogen. Primär wurde versucht, die Gesetze anhand der von ihnen offiziell verfolgten Zwecke daraufhin zu beurteilen, ob sie besser als andere denkbare Regelungen diese Zwecke umzusetzen vermochten. Eine bedeutende Rolle im Rahmen der Bewertung spielte aber auch der Vergleich mit sonstigen Regeln des jeweiligen Rechtsgebietes; auf dem Gebiet der Rückstellung also mit den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich die Rückstellungsgesetze mit Problemen beschäftigt haben, die an und für sich eine Regelung im ABGB erfahren haben. Dieses enthält beispielsweise detaillierte Regelungen darüber, wie bei Rückabwicklung eines auf Grund von Zwang oder Drohung unwirksamen Vertrages vorzugehen ist. Diese allgemeinen Regelungen – die es auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts gibt – haben sich für die Bewertung der einschlägigen Rechtsnormen deswegen als in hohem Maße relevant erwiesen, weil sie auf Grund ihrer allgemeinen und weitgehend unbestrittenen Geltung die Vermutung der sachlichen Angemessenheit für sich haben, sodass eine Abweichung der Rückstellungs- oder Entschädigungsgesetze von diesen allgemeinen Regelungen ohne sachliche Rechtfertigung als problematisch angesehen werden müsste. Schließlich gibt es einen rechtsimmanenten Bewertungsmaßstab, nämlich den Gleichheitssatz der Bundesverfassung. In seiner heutigen Ausprägung durch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist der Gleichheitssatz zum Maßstab einer allgemeinen „Sachlichkeitsprüfung“ von Gesetzen geworden.3 Hier ist allerdings eine gewisse Vorsicht geboten: Dass bestimmte Regelungen nicht mehr sachlich im Sinne des heutigen Verständnisses des Gleichheitssatzes sind, kann den damals handelnden Personen nicht angelastet werden. Es ist hier sehr genau anzugeben, von welchem Wertungsmaßstab ausgegangen wird.4 Festzuhalten ist jedenfalls, dass die Historikerkommission einen geschichtswissenschaftlichen Auftrag erhielt und auch erfüllte. Sie war weder Gericht noch Verwaltungsbehörde, sie entschied nicht über individuelle Fälle, weder über Rechtsansprüche oder über die neue Durchführung von Verfahren, noch über die Angemessenheit von Pauschalleistungen. Die Historikerkommission hätte auch gar nicht tausende individuelle Fälle aufarbeiten können.5   III. Bis zu den Projekten der Historikerkommission hatte sich die Rechtsdogmatik – sieht man vielleicht von den völkerrechtlichen Aspekten ab – mit dem Rückstellungs- und Entschädigungswesen nur vereinzelt befasst6, systematische Untersuchungen fehlten. Man kann auch nicht sagen, dass die beiden großen Rechtsbereiche „Vermögensentzug in der NS-Zeit“ und „Rückstellung“/„Entschädigung“ Themen der österreichischen Rechtsgeschichte gewesen wären. Die Projekte der Historikerkommission haben somit einer jüngeren Generation von Juristen die gute Gelegenheit gegeben, sich in diesen Materien zu profilieren. Dabei kam es zu einer bemerkenswerten Zusammenarbeit zwischen Historikern und Historikerinnen, Rechtshistorikern und Juristen. Es ließ sich auch gut erkennen, wo die Grenze zwischen einer juristisch-dogmatischen Analyse liegt, die sich an der Methode der „subjektiven Interpretation“ orientiert, also vornehmlich an Hand der Materialien den Willen des historischen Gesetzgebers zu erkunden trachtet, und der rechtshistorischen bzw. Wirksamkeitsanalyse. Greift die Rechtsdogmatik nämlich üblicherweise (nur) auf die Gesetzesmaterialien und die veröffentlichte – meist letztinstanzliche – Judikatur zurück, so die anderen Forschungen etwa auch auf die Aktenbestände der Bundesministerien, die die Gesetzentwürfe vorbereiteten – Vorentwürfe, Beratungsprotokolle, Korrespondenzen –, bzw. wird auch gerade die unterinstanzliche Judikatur oder auch Spruchpraxis der Verwaltungsbehörden herangezogen. Ist bei der dogmatischen Analyse oft nur der „außergewöhnliche“ Fall interessant, der eben zu einem höchstgerichtlichen Judikat geführt hat, so interessiert bei der Wirksamkeitsanalyse der „Durchschnittsfall“. Diesbezügliche Forschungen verlangen daher eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit, denn einerseits sind nur Historiker ausgebildet, große Aktenbestände archivtechnisch gekonnt zu finden und zu bearbeiten, müssen andererseits aber an dieses Material spezifische Fragen stellen. Dazu braucht es wiederum Juristen, die aber von den Historikern Auffälligkeiten, Abweichungen, Besonderheiten etc. erfahren müssen, um die Forschungsfrage immer mehr fokussieren zu können. In Bezug auf die Verfeinerung dieser Zusammenarbeit haben die Projekte der Historikerkommission durchaus methodisches Neuland beschritten. Im Rahmen der Veröffentlichungen der Historikerkommission ist zu unterscheiden zwischen eigentlichen juristischen Gutachten, die – wie schon oben ausgeführt – der rechtsdogmatischen Analyse dienen und rechtsgeschichtlichen Forschungsprojekten, die entweder die Geschichte einzelner Gesetzeswerke behandelten oder rechtsempirisch mit der Aufarbeitung von Aktenbeständen verbunden waren. Im Einzelnen sind zu erwähnen: Bailer-Galanda, Die Entstehung der Rückstellungs- und Entschädigungsgesetzgebung. Die Republik Österreich und das in der NS-Zeit entzogene Vermögen. Graf, Die österreichische Rückstellungsgesetzgebung. Eine juristische Analyse. Bericht: Graf, Der Entzug von Mietrechten. Ein rechtshistorischer und rechtsdogmatischer Bericht unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungen nach der Wiedererrichtung der Republik Österreich. Pammer, Die Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien (Bd 1 der Veröffentlichungen der Historikerkommission der Republik Österreich). Meissel/Olechowski/Gnant, Untersuchungen zur Praxis der Verfahren vor den Rückstellungskommissionen. Böhmer, Die Bundesministerien für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung und für Finanzen. Böhmer, Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Böhmer/Faber (unter Mitarbeit von Wladika), Die Finanzprokuratur. Simma/Folz, Restitution und Entschädigung im Völkerrecht. Die Verpflichtungen der Republik Österreich nach 1945 im Lichte ihrer außenpolitischen Praxis. Kolonovits, Österreichisches Staatsbürgerschaftsrecht und Vertreibung 1938. Rechtsfragen des Wiedererwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Opfer des Nationalsozialismus (Vertriebene) nach österreichischem Staatsbürgerschaftsrecht. Burger/Wendelin, Vertreibung, Rückkehr und Staatsbürgerschaft. Die Praxis der Vollziehung des Staatsbürgerschaftsrechts an den österreichischen Juden. Pfeil, Entschädigung im Sozialrecht. Rechtswissenschaftliches Gutachten zur Analyse des Entschädigungsrechts aus sozialrechtlicher Sicht. Berger/Dimmel/Forster/Spring/Berger, Vollzugspraxis des Opferfürsorgegesetzes, Analyse der praktischen Vollziehung des einschlägigen Sozialrechts. Dimmel/Berger/Kuschej/Molden/Wetzel, Analyse der praktischen Vollziehung des einschlägigen Sozialrechts hinsichtlich der Vollzugspraxis im Bereich der §§ 500 ff ASVG. Kolonovits, Rechtsfragen der „Rückstellung“ von entzogenen Banken-, Gewerbe- und Apothekenkonzessionen sowie der Reorganisation von Vereinen nach 1945. Tanzer (unter Mitarbeit von Blasina), Rechtsgutachten zu Rückstellungen und Schadenersätze betreffend „arisierte“ Vermögenswerte im Steuerrecht der Zweiten Republik. Gruber/Tüchler, Rechtliche Regelungen im Zusammenhang mit der Entziehung, Bereinigung und Rückstellung von Wertpapieren.   IV. Was nun die Ergebnisse betrifft, so kann über diese im gegebenen Rahmen nur in sehr allgemeiner Form berichtet werden, gerade so, dass das Interesse an den Berichten selbst geweckt wird. Für das Kapitel des Vermögensentzugs ergibt sich das Bild eines unerhört komplexen Zugriffs des NS-Regimes. Hier reichte das Instrumentarium von ausgeklügelten handelsrechtlichen Maßnahmen des „takeovers“ von Kapitalgesellschaften bis zur blanken Gewalttat, wobei häufig auch beides parallel eingesetzt wurde. Um einen erst heute gebräuchlichen Begriff zu verwenden, könnte man von „Organisierter Kriminalität“ größten Stils sprechen. Diese Beraubung stand überdies in engster Verbindung mit der Vernichtung der Opfer und der Entzug von Vermögen begleitete diese bis zum Tode. Die im Zuge der „Arisierung“ vorgenommenen Vermögensverschiebungen hatten eine außerordentliche Dimension und waren – rein wirtschaftshistorisch betrachtet – ein einschneidendes Geschehnis im Österreich des 20. Jahrhunderts. Es ist aber festzuhalten, dass sich die Historikerkommission nicht nur mit „Arisierungen“ beschäftigte, sondern auch den Vermögensentzug bei anderen Opfergruppen untersuchte, insbesondere bei Roma und Sinti, den politisch Verfolgten und anderen Gruppen mehr. Hinsichtlich der Rückstellungen und Entschädigungen hat sich bestätigt, was schon bei der Vorlage des Arbeitsprogramms zu vermuten gewesen war: Es ist weder zutreffend, dass Österreich nach 1945 alles rückgestellt und alle entschädigt hätte, noch stimmt ein immer wieder erhobener Vorwurf, dass sich Österreich jeder Verantwortung entzogen hätte. Insgesamt wurde ein System der Rückstellung und Entschädigung aufgebaut, allerdings zögerlich und zäh und es war voller Lücken und Fallen. All das führt im Grunde auf die Problematik des Anfangs dieser Zweiten Republik zurück. Die Wiedergewinnung der österreichischen Identität, das Außerstreitstellen der Staatlichkeit Österreichs nach 1945 – juristisch formuliert in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 und mittels der „Okkupationstheorie“ – war politisch und verfassungstechnisch richtig und konsequent. Diese Rechtsbehauptung ging freilich allzu bald einher mit der Verdrängung der Mitverantwortung und Beteiligung vieler Österreicher und Österreicherinnen am Nationalsozialismus. Aus dem rechtlichen und politischen Kalkül der „Opferthese“ wurde somit eine bequeme Argumentationshilfe dafür, Rückstellungen und Entschädigungen von vorneherein nicht als „öffentliche Aufgabe“ zu betrachten. Das Rückstellungswesen wurde gleichsam „privatisiert“, die Opfer in die verfahrenstechnisch ungünstige Ausgangsposition von Klägern, Antragstellern, Beschwerdeführern etc. gedrängt. Eine Institution/Organisation, die sich umfassend um die Ansprüche der Opfer gekümmert hätte und diesen „Manuduktion“ geleistet hätte, bestand nicht. Auf der anderen Seite verfügte der Staat, wenn seine fiskalischen Interessen auf dem Spiel standen, mit der Finanzprokuratur über ein zusätzliches und sehr wirksames Instrument der Rechtsverfolgung. Zwar lässt sich gelegentlich auch ein echtes Interesse an den Opfern feststellen, die treibenden Elemente waren aber doch nur zu oft der Druck der Alliierten, die Hoffnung auf den Staatsvertrag, dessen Konsequenzen und weitere außenpolitische Aspekte. Festzuhalten ist jedenfalls, dass beginnend in den späten 40er Jahren bis heute parallel zu gesetzlichen Rückstellungs- oder Entschädigungsmaßnahmen für die Opfer des Nationalsozialismus, Entschädigungsmaßnahmen für ehemalige Nationalsozialisten, Kriegsopfer, Besatzungsschäden, Wehrmachtsangehörige oder andere Gruppen beschlossen wurde, so als wolle man sich mit diesen Maßnahmen für Leistungen zugunsten der NS-Opfer „entschuldigen“. Es war nicht zuletzt diese halbschürige und zwiespältige Haltung, die viel zum verbreiteten Unmut über Österreich bei den NS-Opfern beitrug. Besonderes Augenmerk richtete die Historikerkommission auch auf das Sozialversicherungsrecht. Bekanntlich schon von Haus aus eine komplizierte Materie, erreicht es bei den sog. „Begünstigungsbestimmungen“ der §§ 500 ff einen noch höheren Grad der Undurchschaubarkeit. Inhaltlich bietet das Sozialversicherungsrecht allerdings letztlich eine adäquate und im Verhältnis zu den sonstigen legistischen Anstrengungen in Österreich relativ großzügige rechtliche Grundlage dafür, für verlorene Lebenschancen zu entschädigen. Freilich gilt dies eben erst für den heute erreichten Rechtszustand, vielen Menschen kamen diese Vorteile nicht mehr zugute. Beispielhaft anzuführen ist weiters auch die Analyse des Staatsbürgerschaftsrechts, die zeigt, dass die Zweite Republik auch in nicht unmittelbar wirtschaftlich relevanten Materien kleinlich vorging oder die Untersuchung bestimmter verwaltungsrechtlicher Materien, in denen es um die Frage der Wiederherstellung öffentlich-rechtlicher Positionen ging.   V. Das Unternehmen der Historikerkommission hatte seine Beschränkung auf wirtschaftliche Aspekte. Damit wurden aber viele wichtige und interessante Themen gar nicht berührt, etwa die Rolle der Juristen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. An dieser Stelle sei nur ausgeführt, dass die oft diskutierte Frage, welcher methodische Standpunkt Juristen eher gegen ihre Instrumentalisierung in einem totalitären System schützt, in ihrer Bedeutung überschätzt wird. Der eingangs geschilderten Komplexität des nationalsozialistischen Vergehens bei der Beraubung entsprach auch eine Komplexität der rechtstechnischen Methoden auf allen Gebieten. So wurde einerseits „legalistisch“ vorgegangen, wenn das Regime generelle diskriminierende Maßnahmen durchsetzen wollte, etwa die „Nürnberger Gesetze“, andererseits im Wege der Umdeutung allgemeiner Gesetze im Sinne des Nationalsozialismus. Es waren also sowohl die aus einem „naiven“ Gesetzespositivismus erfolgende Gehorsamkeit des Rechtsstabes, als auch wieder gerade die „freiere“ richterliche Rechtsfindung, die gleichermaßen zur Durchsetzung des nationalsozialistischen Zwangssystems führte. Zur Abwehr dessen konnte im Einzelfall die eine oder andere Strategie erfolgreich sein, also bisweilen der Positivismus geradezu als „Abwehrstrategie“ gegen nationalsozialistische Anmutungen dienen, in anderen Fällen ein beherzter Richter durch traditionelle Auslegung der Gesetze ihre Umdeutung im nationalsozialistischen Geist verhindern. Im Großen und Ganzen leisteten Juristen – so sie nicht verfolgt wurden – keinen spezifischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, sie sind – wie dies Bernd Rüthers so zynisch ausgedrückt hat – allemal „Wendeexperten“. Diese Instrumentalisierung teilen sie allerdings mit anderen akademischen Berufsgruppen, mit Historikern, Medizinern, mit Technikern und mit Naturwissenschaftlern.

  • 1. 1 Vgl. zuletzt Stolleis, Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus (1994) 10 unter Hinweis auf die bekannte These von Fraenkel, Der Doppelstaat (1974).
  • 2.  Leider waren wichtige Aktenbestände des Rückstellungswesens aus dem Sprengel des OLG Wien bereits skartiert, was der Aussagekraft der Historikerkommission diesbezüglich Grenzen setzt.
  • 3.  Vgl. nur Öhlinger, Verfassungsrecht4 (1999) 321.
  • 4.  Relevanz erhält diese Bewertung im Lichte des Bundesgesetzes über die Einrichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und über Restitutionsmaßnahmen (Entschädigungsfondsgesetz), BGBl I 2001/12, das in §§ 15 Abs 1 und 28 Abs 2 davon spricht, dass frühere Entscheidungen oder einvernehmliche Regelungen allenfalls eine „extreme Ungerechtigkeit“ darstellen können – vgl. insbesondere zu diesem Problemkreis Graf, „Arisierung“ und Restitution, JBl 2001, 746 (751).
  • 5.  Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass § 32 Abs 1 des Entschädigungsfondsgesetzes der Historikerkommission insoweit eine neue Aufgabe übertrug, als die für Zwecke der „Naturalrestitution“ eingesetzte Schiedsinstanz ihre Empfehlungen auf Grundlage u.a. „allfälliger relevanter Befunde der österreichischen Historikerkommission“ abgibt. Zur besseren Durchführbarkeit dieser Verfahren wurden von der Historikerkommission Untersuchungen initiiert, die die systematische Erfassung von Eigentumsübergängen von jetzt im Bundesbesitz befindlichen Immobilien im Zeitraum von 1938 bis 1945 zum Inhalt haben. Diese Einbindung der Historikerkommission war aber von ihren sonstigen Aufgaben getrennt zu sehen.
  • 6.  Vgl. etwa Graf, Arisierung und keine Wiedergutmachung. Kritische Anmerkungen zur jüngeren österreichischen Rechtsgeschichte, in K. H. Fischer-FS (1992) 65.
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Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner ist Präsident des VwGH.