Deutschland. Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich im März dieses Jahres zum bereits zweiten Mal mit der Zulässigkeit sog „Schockwerbung“ des Textilunternehmens Benetton auseinander zu setzen. Die strittige Anzeige zeigte „einen Ausschnitt eines nackten menschlichen Gesäßes, auf das die Worte ,H. I. V. positive‘ aufgestempelt sind“ und rechts darunter das Firmenlogo der Marke Benetton.
Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. hatte die Herausgeberin jener Illustrierten (Stern) auf Unterlassung gem. § 1 UWG geklagt, die die Anzeige veröffentlicht hatte und damit beim Bundesgerichtshof (BGH) Recht bekommen. Der BGH stand auf dem Standpunkt, dass die Anzeige die Menschenwürde verletze und daher wettbewerbswidrig sei, weil sie die Darstellung der Not von Aidskranken in einer Unternehmenswerbung als Reizobjekt missbrauche, um zu kommerziellen Zwecken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das werbende Unternehmen zu lenken, auch wenn sie gleichzeitig – in einer wirklich oder angeblich vorhandenen guten Absicht – auf die öffentliche Meinungsbildung einwirke. Ein Aufruf zur Solidarität mit Menschen in Not sei zynisch und verletze ihren Anspruch auf Achtung und menschliche Solidarität um ihrer selbst willen, wenn er mit dem Geschäftsinteresse verbunden werde, die eigenen Unternehmensumsätze in einem ganz anderen Bereich zu steigern. Aufmerksamkeitswerbung, die das Elend der Betroffenen zum eigenen kommerziellen Vorteil als Reizobjekt ausbeute, sei mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar.
Das BVerfG stellte in seiner Entscheidung fest, dass der BGH damit die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S 2 GG verletzt hat. Wie bereits in einem Urteil aus dem Jahr 2000 (1 BvR 1762/95) erklärte das BVerfG, dass auch derartige Formen der sozialkritischen Schockwerbung durch die Meinungsfreiheit geschützt sind. Zwar sei zutreffend, dass die Menschenwürde der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze setze und die Menschenwürde als Fundament aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig sei. Da aber die Grundrechte insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde seien, bedürfe es einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts die unantastbare Menschenwürde verletze.
Alleine der Aufmerksamkeitszweck rechtfertige den schweren Vorwurf einer Menschenwürdeverletzung jedoch nicht. Wollte man kommerzielle Werbeanzeigen wegen des mit ihnen stets verbundenen Eigennutzens die Thematisierung von Leid verbieten, hätte ein wesentlicher Teil der Realität in der allgegenwärtigen, Sichtweisen, Werte und Einstellungen von Menschen nicht unerheblich beeinflussenden Werbewelt von vornherein keinen Platz. Das kann angesichts des besonders schützenswerten Interesses an der Thematisierung gesellschaftlicher Probleme kein mit der Meinungs- und Pressefreiheit vereinbares Ergebnis sein (BVerfG 11. 3. 2003, 1 BvR 426/02).