Die ehemalige Wiener Jugendrichterin Renate Winter ist derzeit im Auftrag der UNO am Sondergerichtshof in Sierra Leone tätig, der die Rädelsführer des Bürgerkrieges aburteilen soll. Die Situation der ausgebeuteten Kindersoldaten liegt ihr besonders am Herzen. Andrea König sprach mit ihr.

„Nein“. Renate Winter schüttelt bestimmend den Kopf. Die kräftigen, knochigen Hände sind entschlossen im Schoß formiert. Nein, weich wirkt die 59-jährige österreichische Strafrichterin nicht. Eine Frau von großer, schlanker und eleganter Statur. Sehr elegant. Aber nicht weich. Zumindest äußerlich. Wie auch. Jemand, der es gewohnt ist, im Ausland – nicht das Ausland der kitschigen Touristenressorts, sondern das andere, Kriegsgezeichnete – wie der Kosovo oder Sierra Leone – mit Personenschutz zu leben, ist nicht zimperlich. Mit sich und dem Rest der Welt. Auf den ersten Blick.

Doch da gibt es auch andere Züge. Die scharfe Konzentration in den Augen weicht einer engagierten Milde, wenn sie von den Kindern spricht. „Nein, wir müssen bei den Kindern einfach andere Wege einschlagen“. Die Kinder, das sind jene, die während des zehn Jahre andauernden Bürgerkrieges in Sierra Leone brutal entwurzelt und als Soldaten eingesetzt wurden. Die Kinder, das sind jene, denen Winters Hauptaugenmerk im Zuge ihrer Arbeit als einzige weibliche Richterin am Sondergerichtshof der Vereinten Nationen in Sierra Leone gilt, der im Vorjahr installiert wurde und drei Jahre lang arbeiten soll. Um die Verantwortlichen des Bürgerkrieges abzuurteilen. Der Staatsanwalt ist Amerikaner. Das Geld kommt auch von dort.

„Die Kindersoldaten Sierra Leones wurden von allen Seiten ausgenützt und verwendet“, klagt Winter an. Ihr Engagement kommt nicht von ungefähr: War sie doch lange Jugendrichterin in Wien und ist Vorsitzende der Internationalen Vereinigung der Jugend- und Familienrichter.

Ein perfider Mechanismus war in Sierra Leone besonders beliebt: Dörfer werden überfallen und Kinder geraubt. Die Kinder – viele davon jünger als neun Jahre alt – werden dazu gezwungen, ein Familien- oder Dorfmitglied zu töten. Dadurch ist die Rückkehr nach Hause für immer unmöglich. Ihr zukünftiges Lebenskorsett heißt Soldat oder Söldner.

„Wie soll man denn diese Kinder wieder eingliedern? Wir müssen einen Weg finden. Sonst gehen sie doch wieder als Söldner in ein afrikanisches Heer“, bemüht sich Winter, selbst Mutter eines erwachsenen Sohnes, das Unbeschreibliche auf eine allgemeine Ebene zu heben. Deshalb sollen die Kinder nicht vor dem Sondergerichtshof angeklagt werden. Sondern sie sollen vor die parallel agierende „Truth and Reconciliation Commission“, wie es sie schon in Südafrika gegeben hat, kommen. „Nur das kann eventuell Versöhnung ermöglichen“, glaubt Winter an die grundsätzlichen Möglichkeiten dieser Institutionen. Damit man überhaupt arbeiten kann und an Aussagen der Kinder herankommt, werden derzeit in Zusammenarbeit mit NGOs und UNICEF Zeugenschutzprogramme erarbeitet.

Was für sie als Richterin generell ein Erfolg wäre? „Wesentlich ist, dass die Institutionen, der Gerichtshof, Erfolg haben“, abstrahiert sie. Und weist gleichzeitig auf Probleme hin. Dass es schwierig ist, an die wirklichen Drahtzieher heranzukommen. Dass es schwierig ist, mit unkooperativen Regierungen zu arbeiten. Dass es auch schwierig ist, die Zusammenarbeit mit der Commission zu regeln. Und vor allem: „Man muss einfach vermeiden, Siegerjustiz zu betreiben“. Dennoch: „Wenn mit jenen rund zwanzig Drahtziehern, die bereits in Haft sind, die Verfahren abgeschlossen werden können, ist das bereits ein Erfolg.“

 

Kein Honiglecken

Dass der Alltag in Sierra Leone kein Honiglecken ist, darauf ist sie eingestellt. Denn schon als sie für zwei Jahre im Kosovo als höchste ausländische Richterin für Verfahren, bei denen es um Kriegsverbrechen und ethnische Konflikte ging, tätig war, war der Familienkontakt spärlich, Hobbys ein Fremdwort. „Wenn ich Zeit hätte, würde ich Bücher lesen“ meint sie, die ihre Ehe mit einem Wiener Universitätsprofessor als „Sehr gut, wie Gastarbeiter-Ehen halt so sind. Da streitet man wenig“ beschreibt. Man glaubt ihr. Trotz ihres versteckten Lächelns, das jetzt auftaucht. Und akzeptiert, dass man in ihrer – oft nicht ungefährlichen – Position Privates gerne privat sein lässt. Natürlich sei die Situation von so genannten „UN Non Family Stations“ nicht immer leicht. Auch deshalb, vermutet sie, seien Frauen in der Kollegenschaft in der Minderheit.

 

Österreichs unglückliche Situationen

Ihre Perspektive als international tätige Juristin, die unmittelbar UNO-Generalsekretär Kofi Annan untersteht, lässt Winter kritisch auf Österreichs Rechtssystem blicken. Sie, die „einfach immer schon wegfahren hat müssen“, kritisiert die mangelnde Initiative seitens des Justizministeriums, junge Juristenkarrieren im Ausland zu unterstützen. „Unser Nachwuchs ist im Vergleich wirklich gut. Wir in Österreich wären von der Ausbildung her im Stande, einen großen Kriegsverbrecherprozess zu leiten. Nur, international sind wir einfach nicht vorhanden“, bemängelt sie. Die ruhige Stimme wird ungeduldig, sie zieht die Schultern hoch. Sie wirkt jetzt einfach sauer. Sprachausbildungen, LLM, alles schön und gut. Wenn Justiz- und Außenministerium nicht zusammenarbeiten, macht keiner international Karriere. Wenn, dann nur durch großen, persönlichen Einsatz und über Organisationen wie die Vereinten Nationen. So wie sie es gemacht hat.

Web-Adressen:

www.specialcourt.org

www.sierra-leone.org

www.hilfe-ohne-grenzen.at

Weitere Details zum Artikel: 
Maga. Andrea König, MSc. (LSE) ist freie Journalistin. Das Interview spiegelt den Stand vom 7. Jänner 2003 wider.