auf Grundlage des allgemeinen bürgerlichen Rechts

1. Einführung Ein aktuell beim OGH anhängiger Fall wirft einmal mehr die Frage auf, ob das österreichische Recht eine Handhabe dafür bietet, während der Naziherrschaft arisierte Kunstwerke, welche anschließend in die Hände Privater gelangten, wiederzuerlangen.1 Das Bundesgesetz über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen (BGBl I 1998/181) findet auf Private keine Anwendung. Bisher ergaben sich in praxi oft unüberwindliche Hindernisse vor allem durch die dem Kläger obliegende Beweislast. Aus dieser faktischen Unmöglichkeit heraus stellt sich die Frage, ob auf Grundlage des bürgerlichen Rechts die Möglichkeit von Beweislasterleichterungen besteht. Stellt doch das „Streben nach möglichster materieller Gerechtigkeit“ eines der zentralen „juristische Grundprinzipien“2 dar. Das sog Nichtigkeitsgesetz3 aus 1946 ordnete in § 1 die Nichtigkeit jener Transaktionen an, die eine Vermögensentziehung darstellten. Auf Grund dieser gesetzlichen Anordnung konnte durch Arisierungen kein Eigentum an den entzogenen Kunstwerken erworben werden; es war also in der Folge auch nicht möglich, auf derivativem Wege Eigentum zu übertragen. Grundsätzlich4 kann also auch heute noch „und zwar alleine auf der Grundlage des ABGB“5 via rei vindicatio dieses Eigentum zurückgefordert werden. Mit der Anwendung der §§ 366, 369 ABGB6 und insbesondere mit der diesbezüglichen Beweislastregelung beschäftigt sich diese Abhandlung.7   2. Methodologische Überlegungen Auf Basis der Wertungsjurisprudenz, als der „heute vorherrschenden methodologischen Strömung“8, hat der Rechtsanwender nicht bloß eine rein logische Tätigkeit zu entfalten, sondern muss die dem Gesetz zugrunde liegenden Wertmaßstäbe selbständig „zu Ende zu denken.“9 Dabei geht es also nicht um bloße „wertungsneutrale Begriffsarbeit“, sondern um selbständiges „wertorientiertes Denken.“10 Wie weit dieser Ansatz führen kann, zeigt Bydlinski: Es könne „im Rahmen juristischen Denkens auch die Grenze der historischen ratio legis häufig und vielfach nach allgemeiner Auffassung legitim überschritten“11 werden. Bei der Ermittlung der hier zu berücksichtigenden „Werte“ sind die historisch singulären faktischen Gegebenheiten der Arisierungen zu bedenken. Nur so können „die benötigten Wertungsmaßstäbe“12 bereitgestellt werden. Einer solchen Bereitstellung muss natürlich eine entsprechende Untersuchung vorangehen, über die Bydlinski schreibt: „Es geht darum, ...rechtsethischer Prinzipien, also normativer Maximen genuin nicht etatistischer Herkunft habhaft zu werden, die in der praktischen juristischen Begründungsarbeit als zusätzliche normative Prämissen zur Überwindung der... Lückenhaftigkeit13 und Widersprüchlichkeit beitragen können, die ... [die] Eignung [des Rechts] als alleinige Grundlage begründeter juristischer Problemlösungen ausschließen“14. Hiezu für einschlägige Fälle einen Beitrag zu leisten, ist Ziel dieser kurzen Abhandlung. Dabei ist auch der folgende darauf aufbauende Ansatz Larenz’ von grundlegender Bedeutung: Bei der Rechtsfortbildung geht er über die Analogie entsprechend der historischen gesetzgeberischen Interessenbewertung hinaus und gelangt so, wenn auch nur ausnahmsweise, zu einer „gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung“ auf Grund außergesetzlicher Wertmaßstäbe, und zwar entsprechend auch der Natur der Sache und in Anwendung rechtsethischer Prinzipien.15 Die „Heranziehung ... objektiver Maßstäbe ..., die außerhalb des Gesetzes gesucht werden müssen“, stellt demnach eine durchaus legitime methodologische Vorgehensweise dar, woraus „eine nicht nur den Text, sondern sogar die historischen Interessenbewertungen (bzw. Zwecke) des Gesetzgebers übersteigende Rechtsfortbildung“ resultieren kann.16   3. Die Einzigartigkeit der historischen Situation und ihre adäquate rechtliche Bewertung bzw. Bewältigung Die Beweislastverteilung des § 369 AGBG setzt selbstredend voraus, dass jene Person, deren Eigentum entzogen wird, wenigstens objektiv-abstrakt die Chance hat, die Beweise für ihren Rückstellungsanspruch zu sichern. Die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft zeigen, dass diese Möglichkeit insbesondere in Österreich nach 1938 – noch mehr als in Deutschland selbst (!) – in Arisierungsfällen idR nicht gegeben war. Eine Reihe von Historikern betrachtet Österreich als Versuchsfeld für eine noch radikalere antijüdische Politik bzw. als ein Terrain, auf dem die Maßnahmen des Dritten Reiches aus den sechs vorangegangenen Jahren extrem verdichtet umgesetzt wurden.17 Dies führte immer wieder zu plötzlichen Verschleppungen und Vertreibungen, welche es den Opfern unmöglich machten, Beweise für ihr Eigentum zu sichern. Dabei brach in Österreich nicht nur der staatlich „von oben“ organisierte NS-Terror in einer besonders geballten Form auf NS-Opfer herein; dies gilt auch für den Druck „von unten“, von der Bevölkerung. Für diese Extremsituation wurde in der Geschichtswissenschaft der Begriff des „Wiener Modells“ geprägt. Safrain erklärt: „Die Beraubung der Juden in der ,Ostmark‘ war nicht die besser organisierte Anwendung einer generellen Politik. Im Gegenteil, es gab wesentlich mehr unkontrollierten Raub, mehr Kampf um die Beute, mehr Druck ,von unten‘. Es waren ... die Aktionen Zehntausender österreichischer Antisemiten, kombiniert mit dem Eifer ,ostmärkischer‘ Exekutivorgane und Parteifunktionäre, Juden zu jagen und sie ihrer Habseligkeiten zu berauben, die den österreichischen Juden keine andere Wahl ließen, als den Großteil ihres materiellen Besitzes aufzugeben, mehr oder minder entschädigungslos enteignet zu werden, fast mittellos aus dieser ,wahren Hölle‘ zu fliehen.“18 Diese Erkenntnisse, die in ihrer Schärfe und Eindeutigkeit vielfach auch durch die Nachforschungen und Gutachten von Experten im Auftrag oder zumindest im Aufwind der Historikerkommission gewonnen bzw. artikuliert wurden, dürfen bei der Rechtsanwendung nicht unberücksichtigt gelassen werden. Die faktische Unmöglichkeit zur Beweissicherung darf heute nicht zum Nachteil der Geschädigten des Holocaust ausschlagen. Dies würde bedeuten, einen Teil des Unrechts, das diesen Opfergruppen widerfuhr, bis in die heutige Zeit zu prolongieren und rechtlich zu zementieren. Da idR Ansprüche gegen Private durch den „Flickenteppich“19 der einschlägigen leges speciales nicht aufgefangen werden können, stellt sich die Frage, ob nicht eine adäquate Handhabung des grundlegenden juristischen Handwerkszeugs des bürgerlichen Rechts zum Ziel führen kann. Die Zeit dafür wäre jedenfalls reif. Zu jeder Zeit warf die konkrete historische Situation den Opfern Prügel zwischen die Füße. Waren es in den ersten Jahren nach dem Holocaust das noch sehr stark verwurzelte nazistische Gedankengut in der Bevölkerung und die Kompromisse, die die politischen Parteien in ihrem Kampf um Wähler aus diesem Lager schlossen, so musste man anschließend fürchten, dass durch eine zu entgegenkommende Handhabung der Vermögensrückgabe eine neue antisemitische Lawine losgetreten wird. Darauf folgte eine Phase des kollektiven Verdrängens und Vergessens. Dies, in Verbindung mit der Irrlehre der „Opfertheorie“20, erschwerte es den tatsächlichen Opfern des Nationalsozialismus zusätzlich, Gehör für ihre legitimen Anliegen zu finden.21 Und heute, da es endlich gesellschaftlich opportun ist, für sein Recht als Opfer des Nationalsozialismus zu kämpfen, ist es für viele schon rein faktisch nicht mehr möglich, dem von ihnen verlangen Regelbeweismaß für ihr Eigentum zu entsprechen – die traurige Endstation einer wahrhaften Odyssee.   4. Anwendung dieser Erkenntnisse auf §§ 366, 369 ABGB Unmöglichkeit oder erhebliche Beschwerlichkeit, dem Regelbeweismaß zu entsprechen, ist aber bereits in anderen Zusammenhängen von Gesetzgeber und Rechtsprechung anerkannt und durch eine Beweislastumkehr bzw. Beweislasterleichterung gelöst worden. Immer wieder hat der OGH deutlich gemacht, dass „unter bestimmten Voraussetzungen ... der Partei, zu deren Ungunsten die objektive Beweislast im Falle des non liquet ausschlüge, Beweislasterleichterungen zuzubilligen sein“ können, die „vom Anscheinsbeweis über die Umkehr der konkreten Beweisführungslast bis hin zur Umkehr der objektiven Beweislast reichen.“ Freilich ist das Gericht „zur Umkehr der objektiven Beweislast, abweichend von der gesetzlichen Regelung ... nur bei Vorliegen besonderer Sachgründe legitimiert; nur dann darf es das Beweisrisiko extra legem zum Vorteil der beweisbelasteten Partei verschieben.“22 Dass bei den hier relevanten Fallkonstellationen solche „besonderen Sachgründe“ vorliegen, wurde oben darzulegen versucht.23 Auch die oben erwähnten „außergesetzlichen Wertmaßstäbe“ legen dies nahe. In concreto könnte sogar eine noch weiter gehende Argumentationslinie angedacht werden: Dass die (Friedens-)Rechtsordnung in Kriegszeiten suspendiert wird und dem Kriegsrecht weicht, ist deutlicher Beweis dafür, dass die Grundüberlegungen und Interessenabwägungen, auf denen die Normen für Friedenszeiten beruhen, sich in solchen Extremsituationen nicht selten ad absurdum führen. Das nationale „martial law“ (als Pendant zum internationalen „law of war“, also dem Kriegsvölkerrecht) ist Ausfluss dieser Selbstverständlichkeit.24 Der Grundgedanke dieses Phänomens kann für eine tragbare Lösung der hier besprochenen Fallgruppe fruchtbar gemacht werden. In der zivilrechtlichen Terminologie könnte man sozusagen vom Schlagendwerden einer generellen „clausula rebus sic stantibus“ für Normenkomplexe der Friedensrechtsordnung sprechen. Durch die Extremsituation des Kriegszustandes wird nämlich Anforderungen an die Rechtsunterworfenen, die in Friedenszeiten völlig unproblematisch und sogar conditio sine qua non für einen reibungslosen Ablauf des zwischenmenschlichen Zusammenlebens darstellen, der Boden, d.h. die wertungsbasierende Anwendungsberechtigung entzogen. Gerade 1938 bis 1945 lag für Opfer der Nazi-Diktatur sicher nicht die Situation vor, für die § 369 AGBG das Ergebnis einer adäquaten Interessenabwägung in Gesetzesform goss. Der sowohl staatlich organisierte als auch von der Bevölkerung mitgetragene NS-Terror, ist hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe Kriegszeiten gleich zu halten; er überstieg diese sogar hinsichtlich der Intensität der Bedrohung für Leib, Leben und Eigentum. Eine unreflektierte Anwendung der überkommenen Beweislastverteilung des § 369 AGBG auch auf Arisierungen scheint also bedenklich.   5. Verfassungsrechtliche Überlegungen Eine solche Undifferenziertheit ist ebenso verfassungsrechtlich bedenklich. Die enorme Leistungsfähigkeit des Gleichheitsgrundsatzes25 wurde vom VfGH in einer sehr großen Anzahl von Fällen immer wieder demonstriert und kann auch hier fruchtbar gemacht werden. „Das Grundrecht spielt in der Praxis eine große Rolle; der VfGH hat aus ihm ... ein Verbot unsachlicher Differenzierung abgeleitet. In der jüngeren Judikatur hat der VfGH darüber hinaus aus dem Gleichheitssatz auf ein allgemeines Gebot der Sachlichkeit von Gesetzen geschlossen“26. Da der Gleichheitssatz auch den Gesetzgeber bindet27, und dem Gesetzgeber nicht eine verfassungswidrige Regelung unterstellt werden soll, muss § 369 ABGB teleologisch reduziert werden. Nach der vom VfGH entwickelten Prüfungsformel müssen nämlich wesentlich ungleiche Tatbestände zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen28. Dass nach dem oben Dargelegten zwischen Eigentumsentziehungen in Friedenszeiten und denen an Juden im Nazi-Österreich wesentliche Unterschiede im Tatsächlichen bestehen, ist unzweifelhaft. Im Sinne der teleologischen Reduktion bzw. einem verfassungskonformen Verständnis dürfen vom Wortlaut des § 369 AGBG nicht „Fälle erfasst werden, die dem Sinn nach nicht erfasst sein sollen“29. Es liegt hier also geradezu ein Paradefall vor, in dem eine im Gesetz enthaltene, aber zu weit gefasste Regel auf den ihr nach dem verfassungskonformen Zweck bzw. Sinngehalt des Gesetzes zukommenden Anwendungsbereich zurückgeführt werden muss.30 Die Beweislastverteilung des § 369 AGBG ist für Restitutionsansprüche nicht sachgerecht und muss durch eine Beweislastumkehr ersetzt werden; jedenfalls aber muss es genügen, wenn das Eigentumsrecht glaubhaft gemacht wird. In Erinnerung gerufen werden soll hierbei auch noch, dass der VfGH in der neueren Judikatur aus dem Gleichheitssatz in verstärktem Maß ein allgemeines Sachlichkeitsgebot für Gesetze abgeleitet hat. Dabei wird auf eine Bewertung der Relation des von einer Regelung erfassten Sachverhaltes mit der vorgesehenen Rechtsfolge abgezielt.31 Das Anstellen einer solchen Prüfung im vorliegenden Fall spricht eine deutliche Sprache. Kurz gefasst: Auf den Sachverhalt, dass viele Juden nach 1938 überhaupt keine Chance hatten, irgendwelche Beweismittel für ihr Eigentum zu sichern, weil ihr Leben akut bedroht war, kann nicht die Rechtsfolge angewendet werden, dass eine Eigentumsklage bezüglich eben dieses Eigentums aus Beweismangel (der aber ja eben nur aus der objektiven völligen Unmöglichkeit irgendwelcher Beweissicherungsmaßnahmen resultiert) erfolglos bleibt.   6. Beweislastverteilung bei Restitutionsansprüchen Dass es nicht angehen kann, achselzuckend zu akzeptieren, dass der schwierige Eigentumsbeweis, der schon unter den Bedingungen von Friedenszeiten als „Teufelsbeweis“ qualifiziert wird, vor dem Hintergrund solch singulärer Extrembedingungen wie dem Schicksal der Juden im Holocaust zum „Unmöglichkeits-Beweis“ mutiert, wurde auch in einschlägigen gesetzlichen Maßnahmen zum Teil anerkannt.32 Graf untersuchte, „inwieweit der Gesetzgeber für das Problem des Vermögensentzugs abhängig davon, unter welchem politischen Regime er sich abgespielt hatte, unterschiedliche Regelungen aufstellte.“33 Schon das 3. Rückstellungsgesetz etablierte „eigentlich ein eigenständiges Restitutionsmodell, welches auf anderen Wertungen als die Regelungen des ABGB beruhte.“34 Nach § 2 Abs 1 des Bundesgesetz über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen hat der Bund von Amts wegen die vormaligen Eigentümer festzustellen, soweit der Verdacht besteht, ein Kunstwerk, das im Eigentum des Bundes steht, habe während der NS-Herrschaft den Besitzer gewechselt. Der Gesetzgeber verzichtet bewusst darauf, Restitutionswerber mit der sehr schwierigen Beweislast zu befrachten. Weiters hat es der Bundesgesetzgeber im EntschädigungsfondsG (BGBl I 2001/12) als ausreichend betrachtet, wenn ein Entschädigungswerber seinen Anspruch glaubhaft macht (§ 19). Im 3. Rückstellungsgesetz wurde eine Beweislastumkehr zugunsten der Opfer normiert (§ 2 Abs 1): Der Erwerber konnte sich der Rückstellung nur dann entziehen, wenn er nachzuweisen vermochte, dass die Vermögensübertragung auch unabhängig von der Machtergreifung des Nationalsozialismus erfolgt wäre.35 Auch das amerikanische und britische Rückerstattungsrecht, das in den deutschen jeweiligen Besatzungszonen galt, normierte Beweislasterleichterungen durch Vermutungen zugunsten der Opfer.36 Noch hingewiesen sei auf die in der Washingtoner Konferenz 1998 niedergelegten erleichterten Beweisstandards für Restitutionsbegehren, wonach u.a. „berücksichtigt werden [soll], dass auf Grund der verstrichenen Zeit und in der Folge der besonderen Umstände des Holocaust Lücken und Unklarheiten in der Frage der Herkunft unvermeidlich sind“, und im Sinne „... eine[r] gerechte[n] und faire Lösung ...“ auch „alternative Mechanismen zur Klärung strittiger Eigentumsfragen“ angedacht werden sollen.37 In der Tat wäre jede ernst gemeinte Restitution sinnlos, müsste der Rückstellungswerber den vollen Beweis führen. Es muss der spezifischen Interessenlage Rechnung getragen werden, welche in die generelle Wertung des § 369 AGBG als lex generalis nicht Eingang finden konnte. Was schon den grundsätzlichen Regeln der formalen Logik entspricht, nämlich das Gebot, diese partiellen Spezialregelungen auf Grund der einheitlich zugrunde liegenden Sachverhalts- und Interessenkonstellationen induktiv zu einer eben diesen faktischen Verhältnissen gerecht werdenden generellen Norm zu verschmelzen, und diese in der Folge deduktiv auf gleich gelagerte, aber nicht explizit normierte Fälle anzuwenden, ist ein auch in der juristischen Methodenlehre wohl bekanntes Denkmuster. Diese Überlegung führt zu dem Ergebnis, dass für den hier zu behandelnden Fall die Generalnorm des § 369 ABGB überhaupt keine Anwendung findet. An seine Stelle muss eine der speziellen Interessenlage Rechnung tragende – auf Grundlage der partiell normierten Beweislastmodifikationen durch Rechtsanalogie38 gebildete – Beweislastregelung treten. Nicht zuletzt sei darauf verwiesen, dass in vielen Fällen eine bereits bestehende Rechtsprechung des OGH Anwendung finden kann, aus der sich eine Beweislastverschiebung ergibt. Es hat nämlich jener Besitzer, der der Eigentumsvindikation des früheren Besitzers die Einwendung des später erworbenen Eigentums entgegensetzen will, den Beweis eines Eigentums und daher insbesondere der Rechtmäßigkeit seines Besitzes zu führen.39   7. Schluss und Ausblick Die obigen Ausführungen haben einige Argumentationslinien für eine Fruchtbarmachung des allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Instrumentariums hinsichtlich von Restitutionsansprüchen auf Kunstwerke in den Händen Privater angedacht. Gegenstand weiterer Untersuchungen in diesem Zusammenhang muss die Handhabung der Regeln über den originären Eigentumserwerb, insbesondere des Gutglaubenserwerbes, und eine Fruchtbarmachung der naturrechtlichen Basis des ABGB sein. Jedenfalls wäre es wünschenswert, wenn eine breitere Diskussion über diesen Ansatz geführt werden würde. Eine methodologisch lege artis doch problemorientiert und kreativ vorgenommene Untersuchung der leges generales lässt Freiräume für einen flächendeckenden gerechteren Umgang mit dieser sensiblen Thematik bzw. mit den dahinter stehenden Schicksalen sichtbar werden. Diese gilt es zu nützen.

  • 1.  In concreto kämpft die Tochter eines aus Österreich vertriebenen und anschließend im KZ ermordeten Juden um ein Bild, welches sich in Händen einer Privatsammlung befindet und ihrem Vater gehört haben soll. Im Folgenden geht es nur um die grundsätzliche Frage, nach welchen Regeln ein (vor allem wegen mangelnder Gutgläubigkeit) nicht bereits von einem Dritten ersessenes Kunstwerk zurückgefordert werden kann.
  • 2.  Graf, „Arisierung“ und Restitution, JBl 2001, 746 (747).
  • 3.  BG vom 15. Mai 1946, BGBl 1946/106, über die Nichtigerklärung von Rechtsgeschäften und sonstigen Rechtshandlungen, die während der deutschen Besetzung Österreichs erfolgt waren.
  • 4.  Vorausgesetzt es wurde nicht in der Folge originär Eigentum begründet. Dieser Aspekt wird hier nicht behandelt; es wird jedoch aus den folgenden Ausführungen klar, dass bei Prüfung dieser Frage ein strenger Maßstab anzulegen sein wird.
  • 5.  Das Eigentum verjährt nicht. „Wem sein Gut geraubt wurde, der kann es auch nach 100 Jahren zurückfordern“; Graf, JBl 2001, 746.
  • 6.  Bezüglich der (in § 366 ABGB normierten) Eigentumsklage stellt § 369 ABGB klar, dass der Kläger „den Beweis führen [muss], dass ... diese Sache sein Eigentum sei.“ Der Kläger muss also grundsätzlich dem Regelbeweismaß der ZPO entsprechen; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht – Erkenntnisverfahren5 (2000) Rz 580.
  • 7.  Weitere interessante Überlegungen auch im Hinblick auf die actio publiciana bzw. naturrechtliche Argumentationslinien können in diesem beschränkten Rahmen leider nicht dargelegt werden.
  • 8.  F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991)123.
  • 9.  Radbruch, Rechtsphilosophie4 (1950) 211.
  • 10.  Larenz, Grundformen wertorientierten Denkens in der Jurisprudenz, in Wilburg-FS (1975) 217 (218).
  • 11.  Bydlinski, Methodenlehre 128.
  • 12.  Bydlinski, Methodenlehre 128.
  • 13.  Wie nachfolgend gezeigt wird, liegt mE auf Grund der Unanwendbarkeit des § 366 ABGB für die hier interessierenden Fallkonstellationen eine solche Lückenhaftigkeit tatsächlich vor.
  • 14.  F. Bydlinski, Themenschwerpunkte der Rechtsphilosophie bzw. Rechtstheorie I, JBl 1994, 361 (366).
  • 15.  Larenz, Methodenlehre3 (1995) 402 ff.
  • 16.  Bydlinski, Methodenlehre 131 f.
  • 17.  Vgl. nur Götz/Aly/Heim, Vordenker der Vernichtung: Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung (1991) oder Longerich, Politik der Vernichtung: eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung (1998).
  • 18.  Safrain, Beschleunigung der Beraubung und Vertreibung. Zur Bedeutung des „Wiener Modells“ für die antijüdische Politik des „Dritten Reiches“ im Jahre 1938 (1998) 88.
  • 19.  Goschler/Lillteicher, Einleitung, in Goschler/Lillteicher (Hrsg.), „Arisierung und Restitution“. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989 (2002) 7 (11).
  • 20.  Das Selbstverständnis Österreichs als erstes Opfer der Hitler’schen Aggressions- und Expansionspolitik; vgl. Sucharipa, Revisiting the National Socialist Legacy – Restitution: Why Now? The Austrian Experience (2002) 36.
  • 21. 21 „The ,victim theory‘ for too long, was interpreted by the majority of Austrian politicians as a total exemption form any responsibility, legal or moral“; Sucharipa, Restitution 34; vgl. auch Bischof, Austria in the First Cold War, 1945–1955. The Leverage of the Weak (1999) 52–77.
  • 22.  Konkretes Zitat aus OGH 1 Ob 254/99f JBl 2000, 657
  • 23.  Ob das andere für den OGH meist ausschlaggebende Kriterium gegeben ist – nämlich, dass die Beweisführung für den Gegner leichter zu erbringen ist –, muss im Einzelfall natürlich geprüft werden.
  • 24.  Ipsen, Völkerrecht4 (1999) 1040.
  • 25.  Art 7 B-VG, Art 5 StGG.
  • 26.  Mayer, B-VG3 (2002) 463.
  • 27.  Objektiver Grundrechtsgehalt; ständige Judikatur seit VfSlg 1451.
  • 28.  ZB VfSlg 2956, 11.641, 13.477.
  • 29.  Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I12 (2002) 31.
  • 30.  Larenz, Methodenlehre 391 ff; Bydlinski, Methodenlehre 480; vgl. auch OGH 4 Ob 536/79 JBl 1981, 326 (F. Bydlinski); 9 Ob S 4/90 EvBl 1990/126; 4 Ob 502/92 JBl 1992, 454; SZ 67/62; SZ 68/119; SZ 69/181; VfGH B 915/94 ÖJZ 1996, 587.
  • 31.  Mayer, B-VG 466.
  • 32.  Die in der Folge exemplarisch zitierten Normen differieren hinsichtlich ihres konkreten Anwendungsbereiches und Adressatenkreises. Es geht hier jedoch nur darum, Wertungsentscheidungen an verschiedenen Stellen der Rechtsordnung sichtbar zu machen.
  • 33.  Historikerkommission (Hrsg.): Graf, Die österreichische Rückstellungsgesetzgebung. Eine juristische Analyse (2002) 183. Auch an dieser Stelle muss eingeräumt werden, dass das einschlägige Normengeflecht an Sondergesetzen in seiner Gesamtheit leider kein kohärentes Ganzes bildet.
  • 34.  Graf, Analyse 62.
  • 35.  Das vom Gesetz angesprochene „Dartun“ wurde von der Rspr als „Beweisen“ interpretiert; vgl. Rkv 116/48.
  • 36.  Graf, Analyse 261.
  • 37.  Grundsätze 4, 8, 11.
  • 38.  Vgl. nur P. Bydlinski, Bürgerliches Recht I2 (2002) Rz 1/52.
  • 39.  OGH Ob 507/56 EvBl 1957/126; 29. 1. 1958, 7 Ob 431/57; 21. 11. 1977, 1 Ob 712/77; 4. 3. 1986, 2 Ob 676/85.
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Mag. Helmut Ortner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zivilrecht an der Leopold-Franzens-Universität (Innsbruck), helmut.ortner@uibk.ac.at