merk.würdig - S. 22 - 28

Am 6.9.2023 entschied das Gericht der Europäischen Union in der Rechtssache WS u.a./Frontex über den Schadenersatzanspruch einer syrischen Flüchtlingsfamilie gegen die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex). Nach zahlreichen Berichten über Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen, war dies der erste Fall, in dem sich Frontex für seine Beteiligung an Menschenrechtsverstößen vor Gericht verantworten musste. In einem rechtlich unzureichend argumentierten Urteil wies das Gericht die Klage ohne Prüfung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens von Frontex aufgrund eines mangelnden Kausalzusammenhangs ab. Als Folge dieses Urteils kann die Agentur für Verletzungen ihrer menschenrechtlichen Schutzpflichten de facto fast unmöglich vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Dies ist rechtstaatlich bedenklich, schadet der Glaubwürdigkeit der EU und wirft die Frage nach dem Wert grundlegender Menschenrechtsverpflichtungen auf, die in der Praxis nicht sinnvoll durchsetzbar sind.

recht & gesellschaft - S. 49 - 60

Der Beitrag geht der Frage nach, ob Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung im Bereich Wohnen aufgrund von vorherrschenden ableistischen Vorstellungen von Fähigkeiten im Gesetz ausreichend wahrnehmen können. Die Modelle von Behinderungen aus den Dis/Ability Studies als auch die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) dienen als Schablone für die Untersuchung, welche Definitionen von Behinderung und welche Haltungen in den Sozialhilfe- und Behindertenhilfegesetzen dominieren. Bis auf das Tiroler Teilhabegesetz (TTHG) verwenden alle Landesgesetze eine medizinisch defizitorientierte Definition von Behinderung. Dieses Gesetz kennt auch als einziges den Begriff Autonomie. Obgleich es eine große Vielfalt an Unterstützungsangeboten für den Lebensbereich Wohnen in den Gesetzen gibt und die Länder ohne zentrale Vorgaben des Bundes agieren können, dominieren nach wie vor die Angebote institutioneller Versorgung für Menschen mit Behinderungen.