Gewalt in der Familie

Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. Jugend muss Schmerz ertragen. Es darf nicht Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muss erst wieder aus ihren Augen blitzen. Stark und schön will ich meine Jugend... So kann ich das Neue schaffen. (Adolf Hitler) Will man sich dieser Thematik ernsthaft nähern, trifft man sehr schnell auf ein mit Angst und Abwehr behaftetes Tabu. So sehr unsere Familien Horte der Intimität und Refugien gegen die feindliche Umwelt sein sollten, so groß ist die Gefahr, dass durch diese Eingrenzung der dort produzierte Schmerz niemals nach außen tritt. Bestraft und gesegnet mit einem Gedächtnis, das gewillt ist, jeden Wahnsinn der Eltern in die Verherrlichung zu verbannen, treten wir als tickende Zeitbomben ins Leben. Mit der ganzen Kraft unseres aufgestauten Schmerzes gehen wir daran, uns für alles Leid zu rächen. Die Zeit ist äußerst reif dafür, den Kampf gegen unsere eigenen Bedürfnisse und gegen unsere Umwelt aufzugeben. Gemeinsam steuern wir auf den kollektiven Selbstmord zu, beteuern unsere ach so glückliche Kindheit, schlagen unsere Kinder und leben mit einem unverdienten Durchblick auf die Galaxis, bedingt durch ein Ozonloch, das nahezu so groß ist wie unsere Ignoranz. Zusammenhänge zu erkennen, solange es für Söhne und Väter selbstverständlich ist, dass ihnen Mütter und Frauen jeden fallengelassenen Socken hinterherräumen, werden diese Männer in den Vorstandsetagen der Konzerne nicht auf die Idee kommen, ihren dort produzierten Müll aus eigener Kraft auch wieder zu beseitigen. Diese Ignoranz ist uns allen gemeinsam. Egal ob Mann oder Frau, der Schmerz, Ursachen zu erkennen, zu sehen und zu spüren, scheint unverhältnismäßig größer als die Aussicht, durch gelegentliche Beseitigung der Wirkungen um die Jahrhundertwende das Schicksal aller Dinosaurier dieser Erde zu teilen. So ungefähr zur Zeit der Dinosaurier ist uns auch die erste maßgebliche Erziehungsregel mitgegeben worden: So steht in der Bibel zu lesen (Sirach 30, 1): "Wer sein Kind lieb hat, der hält es stets unter der Rute, dass er hernach Freude an ihm erlebe." Sofern es noch lebt. In Österreich wird dieser Merksatz sehr ernst und wörtlich genommen. So wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik des BMI vom Jahre 1982 bis 1987 jährlich zwischen 190 und 250 Fälle von Kindesmisshandlung angezeigt. Die Zahl der gerichtlichen Verurteilungen umfasst nicht einmal ein Drittel. Wie groß die Dunkelziffer ist, weiß wohl jeder aus eigener Erfahrung. Solange die Dachtel beliebtestes Mittel der Kinderdressur bleibt, sind alle Hoffnungen auf eine Evolution vom homo violans zum homo sapiens vergeblich. Wo also beginnt nun eigentlich Gewalt gegen ein Kind? Ganz allgemein: Bei jeder Inanspruchnahme der pater potestas, also jeder Art von Machtmissbrauch gegen einen Schwächeren. Dazu zählt verzweifeltes autoritäres Brüllen ebenso wie alle Abwandlungen der gesunden Watschen, also auch die weniger gesunde, die man dann bereits unter leichte oder schwere Körperverletzung subsumieren kann. Die Übergänge zum Missbrauch sind fließender, als man ahnt, wenn man bedenkt, dass das Schlagen auf den nackten Hintern bereits sexueller Missbrauch ist. Die Hemmschwelle sinkt, wenn der pater familias merkt, dass er in seinem Kind einen absoluten Verbündeten hat. Die Toleranz der Kinder gegenüber ihren Eltern ist grenzenlos. Jede bewusste oder unbewusste seelische Grausamkeit der Eltern ist in der Liebe des Kindes sicher vor Entdeckung geschützt. Die Quellen sowohl der körperlichen Misshandlungen als auch des sexuellen Missbrauchs sind dieselben. Der Jahrtausende alte männliche Herrschaftsanspruch, dass alles, was sich innerhalb der Grenzen seines Hauses bewegt, sein Eigentum und somit frei verfügbar sei. Tatsache ist, dass die Gewalt ein Privileg des Patriarchats ist und sowohl hinter dem Begriff Körperverletzung als auch hinter den Paragraphen des Kindesmissbrauchs mit einzelnen Ausnahmen Männer stehen, zum Beispiel: § 206 StGB (Beischlaf mit Unmündigen) 69 Männer, 4 Frauen; § 207 StGB (Unzucht mit Unmündigen) 104 Männer, 4 Frauen; § 209 StGB (Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter 18 Jahren) 31 Männer, 1 Frau; § 212 StGB (Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses) 9 Männer, keine Frau. Dass es sich bei dem Täter nicht um den mit Zuckerln bewaffneten Unbekannten handelt, zeigt Dr. Nixdorf (Jurist) in seiner Untersuchung: Jedes fünfte Opfer war mit seinem Täter verwandt. Dr. Berner (Jurist) weist in seiner Analyse unter dem Absatz "Kontakte mit Kindern" daraufhin, dass im Gefängnis die Zahl der Täter, die Angehörigenstatus haben, niedriger ist. Das hängt damit zusammen, dass die Delikte im Familienkreis seltener angezeigt werden. Tabu ist nicht die körperliche Misshandlung oder der sexuelle Missbrauch sondern das Sprechen darüber (A. Miller). Während die Verfechter der gesunden Watschen sich noch offen zu ihrem Machtmissbrauch bekennen, widerstrebt es dem gesunden Menschenverstand, den sexuellen Missbrauch als normal anzusehen. Doch anders als erwartet sind die Täter keine abartigen Perversen. Nur 1,3 bis 6 Prozent aller Sexualdelinquenten werden nach§ 21 (1) und (2) und § 23 StGB als unzurechnungsfähig, seelisch abartig und als gefährliche Rückfallstäter in eine Sicherheitsabteilung der Psychiatrie beziehungsweise Sonderstrafanstalt mit Therapiemöglichkeiten eingewiesen. 94 bis 98,7 Prozent der Täter verbüßen die Strafe im Normalvollzug. Dies beschert einem die bittere Erkenntnis, dass es sich bei den Missbrauchern um ganz normale Männer handelt. Vergewaltigende Väter, Stiefväter, Großväter sind keine Psychopathen oder Monster. Sie entstammen jeder Schicht, üben die verschiedensten Berufe aus und sind ebenso oft arbeitslos wie andere Männer auch. 
 Chauvinistische Ignoranz Doch ebenso wie den nur watschenden Männern bleiben den Missbrauchern die katastrophalen Folgen und Ursachen ihrer Tat aus Gründen eigener Ignoranz verborgen. Dr. Groth (1977), Leiter der Sexualtherapeutischen Anstalt Somers, Connecticut, sagt, dass er in seiner Praxis noch keinem Missbraucher begegnet sei, der sich aus freien Stücken eingefunden habe, weil er Hilfe brauche. Echte Reue und Scham seien nicht charakteristisch. In Österreich wurde jede zehnte Frau Opfer eines sexuellen Missbrauchs in ihrer Kindheit. Der Mutter kommt gerade beim Missbrauch eine sehr undankbare Rolle zu. Mütter werden dafür verantwortlich gemacht, dass die Familie funktioniert. Oft wird das Verhalten der Mutter stärker in Frage gestellt als das Verhalten des Täters. Nur allzu oft suchen die Mütter die Schuld bei sich selbst, wenn in der Familie Schwierigkeiten auftreten. Dieses Verantwortlichfühlen verhindert aber oft ein klares Erkennen der Ursachen und desjenigen, der wirklich dafür verantwortlich ist. Es ist auch nach wie vor üblich, bei der Schuldfrage völlig unzulässigerweise die Opfer miteinzubeziehen. So hört man von Eltern grausamst misshandelter Kinder häufig, diese wären schlimm gewesen. Als Rechtfertigung für eine schwere Körperverletzung erscheint diese Begründung doch etwas mager. Noch dünner wird die Logik beim Kindesmissbrauch. Oft werden die Behauptungen der Kinder in das Reich kindlicher Phantasie verwiesen, wobei allerdings übersehen wird, dass den Kindern für derartige Behauptungen überhaupt keine Phantasie zur Verfügung steht. Ein Kind, das zaghafte Andeutungen macht über die Möglichkeit eines solchen Missbrauchs, lügt nie. Reagiert der Mensch, an den es sich wendet mit Unglauben, ist es unwahrscheinlich, dass das Kind jemals wieder etwas äußern wird. Vielmehr werden seine Ängste bestätigt: Es handelt sich um etwas, das zu schlimm ist, geglaubt zu werden und das nur ihm allein passiert ist. So wie geprügelten Kindern vermittelt wird, dass sie die Strafe verdient haben, glauben auch misshandelte Kinder, sie seien an ihrer Misshandlung selbst schuld, weil es doch nicht sein kann, dass der geliebte Vater etwas Falsches tut. Sein Vertrauen in das richtige Handeln der Eltern ist grenzenlos. Es ist zu abhängig von ihrer Liebe und Zuwendung, um es in Frage zu stellen. Vermitteln die Eltern ihrem Kind, dass man sich alles erlauben kann, was man möchte, bedeutet das für das Kind: Es ist nichts wert. Dieses Nichtswert-Sein hat fatale Folgen. Menschen, die sich als wertlos betrachten, misstrauen ihren Gefühlen. 
 Der brave Bürger Im diktatorischen Staat, in dem sich seine Erziehung spiegelt, kann ein solcher Bürger jede Art von Folterung und Verfolgung ausführen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Oft bewundern wir Widerstandskämpfer in totalitären Staaten. Wir denken, diese hätten viel Mut und feste Prinzipien. Meist sind diese aber nicht bloß Tugenden, sondern Folgen eines gnädigen Schicksals der Erziehung. Moral und Pflichterfüllung sind Prothesen, die notwendig werden, wenn etwas Entscheidendes fehlt. Je weniger ein Kind seine Gefühle zulassen durfte, umso größer muss das Arsenal an intellektuellen Waffen und Prothesen sein, weil die Moral und das Pflichtbewusstsein keine Kraftquellen, kein fruchtbarer Boden für echte Menschliche Zuwendung sind. In den Prothesen fließt kein Blut, sie können verschiedenen Herren dienen. Ein Mensch mit lebendigen Gefühlen kann immer nur er selber sein. Er hat keine andere Wahl, will er sich nicht verlieren. Menschen, die gelernt haben, seit frühester Jugend ihre Bedürfnisse zu ignorieren und die ihrer Peiniger zu ihren eigenen zu machen, missachten auch die Bedürfnisse ihrer Umwelt. In einer Welt, in der ein Knopfdruck genügt, die gesamte Menschheit zu vernichten, ist es eine Frage des Überlebens die ganze Wahrheit darüber zuzulassen, wie dieser Wunsch entstehen kann. 


Fotos & Illustrationen des Artikels: 
Bild 1: Zweijähriger Knabe mit Bissringen und Hämatomen