juridikum 1/2024, Thema: Tiere, 2024, Heft 1, S. 22 - 28, merk.würdig

Menschenrechtsverletzung ohne Schadenersatzanspruch?

Zur Haftung der EU - Agentur Frontex nach WS u.a./Frontex

Am 6.9.2023 entschied das Gericht der Europäischen Union in der Rechtssache WS u.a./Frontex über den Schadenersatzanspruch einer syrischen Flüchtlingsfamilie gegen die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex). Nach zahlreichen Berichten über Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen, war dies der erste Fall, in dem sich Frontex für seine Beteiligung an Menschenrechtsverstößen vor Gericht verantworten musste. In einem rechtlich unzureichend argumentierten Urteil wies das Gericht die Klage ohne Prüfung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens von Frontex aufgrund eines mangelnden Kausalzusammenhangs ab. Als Folge dieses Urteils kann die Agentur für Verletzungen ihrer menschenrechtlichen Schutzpflichten de facto fast unmöglich vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Dies ist rechtstaatlich bedenklich, schadet der Glaubwürdigkeit der EU und wirft die Frage nach dem Wert grundlegender Menschenrechtsverpflichtungen auf, die in der Praxis nicht sinnvoll durchsetzbar sind.

Big Brother wird Europäer

Das Übereinkommen von Schengen:

Dass Europa seine Grenzen dicht macht, ist seit längerem bekannt. Einen vorläufigen Höhepunkt des Festungsbaus stellt das Durchführungsabkommen von Schengen dar, das im Juni 1990 von fünf Staaten unterzeichnet wurde und nun Anfang 1991 ratifiziert werden soll. Weitere Verschärfungen im Asylbereich sind zu erwarten. Am 14. Juni 1985 unterzeichneten Frankreich, die BRD und die Beneluxstaaten in der luxemburgischen Kleinstadt Schengen ein "Übereinkommen über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den Grenzen".

juridikum 3/2023, Thema: Soziale Rechte von Migrant:innen, 2023, Heft 3, S. 350 - 360, thema

Regeln und Grenzen der Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft und des Bezuges sozialer Leistungen von Unionsbürger:innen

In einigen Fällen wird die Erwerbstätigeneigenschaft von Unionsbürger:innen, die in anderen Mitgliedstaaten arbeiten, auch nach dem Ende bzw während einer Karenzierung eines Arbeitsverhältnisses aufrechterhalten. Das kann gravierende Auswirkungen auf die Möglichkeit des Bezuges sozialer Leistungen haben. Der VwGH hat die Frage, ob bzw wie lange Arbeitnehmer:innen, deren Arbeitsverhältnis aus Gründen der Elternschaft karenziert ist, noch in diesem Sinn ihre Erwerbstätigeneigenschaft aufrechterhalten, sehr restriktiv gelöst und ausgesprochen, dass dies nur während der Zeit des Mutterschutzes, nicht aber während der darauffolgenden Elternkarenz der Fall sei. Wie gezeigt wird, ist diese enge Sichtweise aufgrund der EuGH Judikatur verfehlt. Weiters wird im Beitrag erörtert, dass diese Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft auch nach kurzem Arbeitsverhältnis eintritt, solange dieses nicht „völlig untergeordnet“ war. Zuletzt wird beleuchtet, wie der Begriff der „unfreiwilligen Arbeitslosigkeit“ in diesem Zusammenhang ausgelegt werden muss.

juridikum 4/2021, Thema: Rassismus und Recht, 2021, Heft 4, S. 462 - 472, recht & gesellschaft

Exportkontrolle in Österreich?

Die Kontrolle der Ausfuhr von Rüstungs- und anderen sensiblen Gütern erfolgt in Österreich auf Basis unterschiedlicher internationaler, unionsrechtlicher und nationaler Normen. Der Noricum-Skandal sowie vor allem der EU-Beitritt haben grundlegende Reformen hervorgebracht. Daraus ergibt sich jedoch ein uneinheitliches Bild sowohl im Hinblick auf die Genehmigungskriterien als auch der zuständigen Behörden für Exporte. In diesem sich schnell weiterentwickelnden Rechtsgebiet wird die Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem Missbrauch exportierter Rüstungs- und Dual-Use-Güter konstant auf die Probe gestellt. Trotz intensiver Regulierung gelingt dieser Ausgleich jedoch nicht immer zufriedenstellend.

juridikum 4/2019, Thema: Verkehr(t) - Klima, 2019, Heft 4, S. 460 - 462, merk.würdig

Parlamentarische Demokratien im Rückbau

Nach Hans Kelsens Ideal soll das parlamentarische Verfahren dazu dienen, den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen zur Öffentlichkeit zu verhelfen. Aus der Gegenüberstellung von These und Antithese soll eine Synthese entstehen. Die Gesetzgebungspraxis wird dem nicht gerecht. In den vergangenen Monaten wurden wiederholt verkürzte Begutachtungsfristen kritisiert. Die Mitsprache der politischen Opposition und zivilgesellschaftlicher Player wird darüber hinaus durch die Anwendung verschiedener geschäftsordnungsmäßiger Instrumente erschwert. Diese Praktiken schwächen das Parlament in seiner Funktion und führen zu einer Machtverschiebung in Richtung Exekutive, die sich nicht nur in Österreich sondern auch auf europäischer Ebene feststellen lässt. Es zeigen sich – im Sinne von Friedrich von Hayek – technokratisch-autoritäre Ideen eines Liberalismus, der von demokratischen Strukturen nicht begrenzt werden soll.

juridikum 2/2021, Thema: Rechtsvertretung, 2021, Heft 2, S. 268 - 275, thema

Verfahrenshilfe als Garant für den Rechtsstaat?

Kritische Betrachtung eines alt bewährten Instituts

Eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Rechtsstaates ist dessen Zugänglichkeit. Diese soll ua durch das Institut der Verfahrenshilfe ermöglicht werden. Diese Errungenschaft des modernen Rechtsstaates reicht in ihrer Grundidee sogar bis in die Römische Kaiserzeit zurück und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens. Der folgende Artikel bietet einen kompakten Überblick über die gesetzliche Ausgestaltung der Verfahrenshilfe in Österreich. Als wesentlichste Teilgarantien der Verfahrenshilfe gelten die Beigebung eines/r Rechtsanwalts/anwältin (durch die Rechtsanwaltskammern) bzw die Befreiung von Verfahrenskosten. Voraussetzung ist aber, dass Verfahrenshilfesuchende außerstande sind, die Kosten des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des „notwendigen Unterhalts“ zu bestreiten und, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht als offenbar „mutwillig“ oder „aussichtslos“ erscheint. Ein nicht unbeträchtlicher Teil von Personen gelangt aber – trotz Mittellosigkeit – nicht in den Genuss der Verfahrenshilfe, wodurch das Prinzip der Waffengleichheit gefährdet wird. Diesem und weiteren änderungsbedürftigen Umständen soll schlussendlich mit Verbesserungsvorschlägen de lege ferenda aus Sicht der Praxis entgegengetreten werden.

juridikum 1/2021, Thema: Recht und Politische Ökonomie, 2021, Heft 1, S. 17 - 21, merk.würdig

AKW, LTE und UVP...

Transparenz und Prüfpflicht bei der Laufzeitverlängerung von Atomreaktoren

Zur Zeit erreichen zahlreiche Atomkraftwerke innerhalb und außerhalb Europas das Ende ihrer ursprünglich vorgesehenen Laufzeit. Jene Staaten, in denen Atomstrom weiterhin einen beträchtlichen Anteil am Energiemix haben soll, sind daran interessiert, diese weiter am Netz zu halten. Da eine solche Verlängerung der Betriebszeit zum Teil in Schnellverfahren oder gänzlich ohne neuerliche Bewilligung abläuft, kam in den vergangenen Jahren eine internationale Debatte rund um die Prüfpflicht solcher Laufzeitverlängerungen (lifetime extensions bzw „LTE“) auf. Benachbarte Staaten, Umweltschutzorganisationen und Einzelpersonen sind daran interessiert, sich in die rechtlichen Verfahren – soweit solche durchgeführt werden – einbringen zu können. Ein Urteil des EuGH zum belgischen AKW Doel aus dem Jahr 2019 sowie eine im Dezember 2020 verabschiedete Guidance zur Anwendbarkeit des Übereinkommens von Espoo über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen lassen etwas Hoffnung aufkommen.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 250 - 260, thema

No Choice Advocates

Wie der Angriff auf reproduktive Rechte säkulare und religiöse Antifeminismen vereint

Die christlich-fundamentalistische Agitation gegen reproduktive Rechte hat sich in den letzten Jahren auf europäischer Ebene modernisiert und strategisch neu positioniert. Am Beispiel der österreichischen #FAIRÄNDERN-Petition gegen Abtreibung, die 2018 ins Parlament eingebracht wurde, wird zunächst gezeigt, wie diese Veränderungen zur verstärkten Akzeptanz christlich-fundamentalistischer und säkular rechtsextremer Diskurse beitragen. Auf europäischer Ebene – etwa im Rahmen des Netzwerks Agenda Europa – entwickelte Strategien, die sich dem Kampf gegen die „Kulturrevolution“ der 1960er und 1970er Jahre verschrieben haben, bilden den Hintergrund dieser Prozesse. Im letzten Abschnitt zeigen wir, wie die Agitation gegen Abtreibung christlich-fundamentalistische und säkular rechtsextreme Akteur:innen, in ihrem Kampf um politische Hegemonie verbindet. Nicht zuletzt die Konstruktion gemeinsamer Feindbilder und die Nutzung von Scharnierbegriffen erweisen sich dafür als funktional.