juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 271 - 275, nach.satz

Wer war Pauli Murray (1910–1985)?

Hinter den Kulissen und der Zeit voraus

Sowohl die in den USA des 20. Jahrhunderts wirksamen Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse als auch die sozialen Bewegungen dagegen kreuzen sich in Pauli Murrays Lebensgeschichte (1910-1985) in exemplarischer Weise. Sie war als Aktivistin und Juristin in der Arbeiter:innenbewegung, der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und der Frauenbewegung aktiv und gilt als intersektionale Vordenkerin. Mit ihren juristischen Argumentationen war sie vielfach ihrer Zeit voraus und Wegbereiterin für entscheidende Rechtsentwicklungen. Ihre Biographie nicht nur die Geschichte einer Schwarzen Juristin, die sich dem Kampf für Menschenrechte und Gerechtigkeit verschrieb, sondern auch die Geschichte einer nicht-binären/transidenten Person, die ihre Geschlechtsidentität aufgrund der gesellschaftlichen Umstände zeitlebens weitgehend unter Verschluss hielt. Der vorliegende Beitrag macht einführend mit Pauli Murray und ihrem Wirken bekannt.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 261 - 270, thema

Reproduktive Rechte als Frage der sozialen Reproduktion

Eine intersektionale polit-ökonomische Perspektive

Weltweit finden verstärkt Angriffe auf reproduktive Rechte statt, denen es nicht nur um das propagierte Kindeswohl und den Erhalt der ‚traditionellen’ Familie geht, sondern auch um die Absicherung bestehender Macht- und Eigentumsverhältnisse. In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, welche gesellschaftliche Bedeutung die Einschränkung sexueller und reproduktiver Rechte aktuell hat und schlagen eine intersektionale polit-ökonomische Perspektive vor. Ausgehend davon, verstehen wir die Frage der Reproduktion breiter: Nicht nur als biologische Reproduktion, sondern als soziale Reproduktion von Gesellschaft, die im Kapitalismus immer auch eine Frage nach der Reproduktion von Macht-, Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen ist. Die aktuellen Angriffe auf reproduktive Rechte und körperliche Selbstbestimmung sehen wir demnach als Teil größerer gesellschaftlicher Kämpfe um soziale Reproduktionsverhältnisse im Kapitalismus.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 250 - 260, thema

No Choice Advocates

Wie der Angriff auf reproduktive Rechte säkulare und religiöse Antifeminismen vereint

Die christlich-fundamentalistische Agitation gegen reproduktive Rechte hat sich in den letzten Jahren auf europäischer Ebene modernisiert und strategisch neu positioniert. Am Beispiel der österreichischen #FAIRÄNDERN-Petition gegen Abtreibung, die 2018 ins Parlament eingebracht wurde, wird zunächst gezeigt, wie diese Veränderungen zur verstärkten Akzeptanz christlich-fundamentalistischer und säkular rechtsextremer Diskurse beitragen. Auf europäischer Ebene – etwa im Rahmen des Netzwerks Agenda Europa – entwickelte Strategien, die sich dem Kampf gegen die „Kulturrevolution“ der 1960er und 1970er Jahre verschrieben haben, bilden den Hintergrund dieser Prozesse. Im letzten Abschnitt zeigen wir, wie die Agitation gegen Abtreibung christlich-fundamentalistische und säkular rechtsextreme Akteur:innen, in ihrem Kampf um politische Hegemonie verbindet. Nicht zuletzt die Konstruktion gemeinsamer Feindbilder und die Nutzung von Scharnierbegriffen erweisen sich dafür als funktional.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 246 - 249, thema

CHANGES for women

Eine Privatinitiative füllt Lücken im Gesundheitssystem

CHANGES for women ist ein gemeinnütziger und spendenfinanzierter Verein in Wien, der ungewollt Schwangere in finanziellen Notlagen beim Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen durch niederschwellige und unbürokratische Kostenübernahme unterstützt. Der Verein agiert völlig unabhängig und die Mitglieder arbeiten auf ehrenamtlicher Basis. Schwangerschaftsabbrüche sind in Österreich nach wie vor im Strafgesetzbuch geregelt und nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei (Stichwort Fristenlösung). Dadurch ist die Versorgungslage für Betroffene auch 2023 noch mangelhaft. Sowohl der Zugang zu seriösen und objektiven Informationen als auch der tatsächliche Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist nicht flächendeckend gegeben. Der Verein versucht somit, eine Lücke im Sozial- und Gesundheitssystem zu füllen, welche aufgrund politischen Unwillens auf Kosten von Frauen* und Personen mit Uterus nicht beseitigt wird.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 235 - 245, thema

„Eine Frist, keine Lösung“

Abtreibung in Recht und Praxis in Österreich und die reproduktiven Rechte von Schwangeren. Eine Bestandsaufnahme.
juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 222 - 234, thema

Privatheit – Reproduktive Autonomie – Demokratische Gesellschaft

Versuch einer Verhältnisbestimmung

Das Recht auf Privatheit ist ein vergleichsweise junges Menschenrecht, das bei Kritiker:innen insbesondere aufgrund seiner Weitläufigkeit bzw schweren Abgrenzbarkeit in Verruf geraten ist. Auch der US-Supreme Court bediente sich jüngst dieser Argumente, als er die 1973 ergangene Entscheidung Roe v Wade beseitigte. Der vorliegende Beitrag richtet den Blick auf die rechtsphilosophischen Grundlagen eines solchen Menschenrechts und bricht eine Lanze für seinen starken Schutz. An einem solchen besteht nicht nur ein individuelles, sondern darüber hinaus auch ein kollektiv-demokratisches Interesse.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 209 - 221, thema

Die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der politischen Auseinandersetzung mit dem Schwangerschaftsabbruch

Eine Analyse im Rechtsvergleich

Vor dem Hintergrund der Dobbs-Entscheidung des US-Supreme Courts, die das verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Schwangerschaftsabbruch in den USA gekippt hat, analysiert dieser Beitrag, welche Rolle Verfassungsgerichte in der politischen Auseinandersetzung mit dem Schwangerschaftsabbruch in Österreich, Frankreich, Deutschland und den USA historisch gespielt haben.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 196 - 205, recht & gesellschaft

Das Allgemeine im Blick

Überlegungen zum Schutz von Allgemeingütern durch die Verleihung von Grund- und Menschenrechten

Anlässlich des Vorschlags, weitere Grundrechte in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufzunehmen, geht der Beitrag der Frage nach, weshalb die Grund- und Menschenrechte im westlichen Verständnis in erster Linie dem Schutz der Güter und Interesse des Einzelnen dienen. Der Schutz von Kollektivrechtsgütern ist durch Grundrechte ist hiesigen Rechtsordnungen dagegen fremd. Nach einer kurzen Darstellung der Rechtslage in Europa sucht der Beitrag eine wesentliche Ursache dieser Trennung in der Funktion der Menschenrechte in den bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts. Er erinnert daran, dass den Menschrechten in diesem historischen Zeitpunkt, in dem sie zum Leitbegriff gesellschaftlicher und staatlicher Ordnung avancierten, ungeachtet ihrer Funktion zur Abschaffung der (absoluten) Monarchien und der Durchsetzung von Demokratie und (damals allerdings stark begrenzter) politischer Gleichheit ein beschränkter Begriff der Menschenrechte zugrunde lag, der stark auf den Schutz des Privateigentums fokussiert war. Ein abschließender Ausblick fragt danach, welche rechtspolitischen Schlussfolgerungen sich hieraus für den Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit ergeben.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 186 - 195, recht & gesellschaft

Gleichheit und ziviler Ungehorsam

Mit dem Begriff ziviler Ungehorsam wird beansprucht, dass eine illegale Protestaktion trotz ihrer Illegalität legitim ist. Philosophische Theorien zivilen Ungehorsams geben Antworten auf die Frage, worauf sich diese Legitimität stützt. Dieser Text versucht zu zeigen, dass dabei das Grundprinzip der Gleichheit eine entscheidende Rolle spielt. Entgegen dem verbreiteten Argument, die Übertretung von Gesetzen, um politische Änderungen herbeizuführen, sei arrogant, nehmen Aktivist*innen in zivilem Ungehorsam ihr Gegenüber als Gleiche ernst. Ich werde zunächst zeigen, wie das, in Anlehnung an liberale und deliberativ-demokratische Theorien, durch die Ausrichtung dieser Protestform auf einen öffentlichen Dialog und ihre prinzipielle Rechtstreue begründet werden kann. Daraufhin sollen Zweifel radikalerer Theorien an dieser Ausrichtung vor dem Hintergrund des Prinzips der Gleichheit besprochen werden. Diese stellen sich dabei zum Teil als berechtigt heraus, greifen aber nur soweit als dadurch die Anbindung zivilen Ungehorsams an das Prinzip der Gleichheit nicht verloren geht.

juridikum 2/2023, Thema: Abtreibung, 2023, Heft 2, S. 176 - 185, recht & gesellschaft

Vom Wert der Versammlungsfreiheit im demokratischen Rechtsstaat

Eine kritische Auseinandersetzung mit Strafandrohungen und Straferhöhungen für Klimaklebeaktionen

Teile der Politik fordern ein härteres Vorgehen gegen die verkehrsbehindernden Protestaktionen von Klimaaktivist:innen, zuletzt etwa vermehrt in Zusammenhang mit den „Klimakleber:innen“ der Letzten Generation. Derzeit wird das Festkleben auf der Straße in erster Linie verwaltungsstrafrechtlich geahndet; es drohen Geldstrafen. Aus Niederösterreich wurde aber bereits ein Vorschlag für eine Novelle des Versammlungsgesetzes vorgelegt, die auch Freiheitsstrafen vorsieht. Tatsächlich ist die Versammlungsfreiheit ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht, das sowohl in der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch in der Grundrechtecharta verankert ist und einen Eckpfeiler des demokratischen Rechtsstaats darstellt. Höhere Strafen stellen demokratiepolitisch bedenkliche Einschüchterungsversuche dar. Der vorliegende Beitrag soll untersuchen, inwieweit derartige Vorstöße zur Straferhöhung im Spannungsverhältnis zum Recht auf Versammlungsfreiheit stehen.

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