Völkerrecht und Wüstenkrieg

Eigentlich ist die Demokratische Arabische Republik Sahara (D.A.R.S.) nur ein Stück Wüste von der Größe der BRD. Wären da nicht das größte Phosphatvorkommen der Erde und 1500 km fischreiche Küstengewässer. Deshalb müssen die Sahauris seit Jahrzehnten um ihr Land kämpfen. Zuerst gegen den Kolonialherren Spanien, jetzt gegen Marokko, aber im Grunde immer gegen ökonomische Interessen imperialistischer Staaten. 1884 wird das Gebiet der Westsahara(heute: D.A.R.S.) bei der Berliner Konferenz Spanien zugesprochen. Lange Zeit beschränkt sich das Interesse auf die küstennahen Zonen. Erst 1934 gelingt es Spanien mit Hilfe Frankreichs die Westsahara gänzlich zu unterwerfen. Als 1947 riesige Phosphatvorkommen entdeckt werden, beanspruchen plötzlich auch die Nachbarn Marokko und Mauretanien das Land der Sahauris. 1965 fordern die Vereinten Nationen Spanien erstmals auf, die Westsahara zu räumen - ohne Erfolg. In der Folge beginnt sich der Kampf der Sahauris zu organisieren. Am 10. Mai 1973 kommt es zur Konstituierung der Frente Popular para la liberacion des Saguia el Habra Rio del Oro (Polisario) mit dem Ziel die Westsahara zu entkolonisieren. Dem Druck der Widerstandsbewegung nicht mehr gewachsen muss Spanien schließlich 1974 den Rückzug aus der Westsahara antreten. Eine UNO-Untersuchungskommission stellt 1975 fest, dass "die Bevölkerung oder zumindest alle befragten Personen sich entschieden für die Unabhängigkeit und gegen die Forderungen Marokkos und Mauretaniens aussprachen. Die Frente Polisario ist die vorherrschende politische Macht in jenem Gebiet. Im genannten Territorium hat die Kommission Massenkundgebungen zu ihren Gunsten beigewohnt. Spanien zieht daraus die Konsequenzen, verspricht den Sahauris die Unabhängigkeit, um gleich darauf völkerrechtswidrig zu handeln. Gegen 35% der Phosphatvorkommen wird die Westsahara im Madrider Abkommen an Mauretanien und Marokko verkauft. Daraufhin bricht neuerlich ein Krieg aus, der bis heute nicht beendet ist und unter anderem bei einer Bombardierung eines Flüchtlingslagers mit Napalm mehreren tausend Sahauris das Leben kostet. ölkerrechtliche Aspekte des Westsahara-Konfliktes Als völkerrechtliche Quellen zum Sahara-Konflikt kommen vor allem folgende in Frage: das Gutachten des IGH in Den Haag vom 16. Oktober 1975, regelmäßige Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die Resolution des Sicherheitsrates der VN von 1975, regelmäßig verabschiedete Resolutionen der Organisation für afrikanische Einheit (OAU) und mehrere Erklärungen in den Dokumenten der Blockfreien Bewegung. Die Sahara-Frage brachte 1975 zwei Resolutionen auf die Tagesordnung der VN, die kontrovers abgestimmt wurden. Die Resolution 3453A (XXX) bestätigte das Selbstbestimmungsrecht des sahrauischen Volkes, unterstrich die Verantwortung Spaniens und der Vereinten Nationen für die Entkolonisierung des Territoriums. Weiters verwies sie auf das IGH-Gutachten von 1975, das den Fall Westsahara als "normalen" Fall der Entkolonisierung darstellt, auf den deshalb auch die Regeln der "Entkolonisierungsresolution" der VN 1514 (XV) anzuwenden sind. Folgerichtig wurde Spanien aufgefordert, unmittelbar Schritte zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts einzuleiten: In diesem Zusammenhang sei festgehalten, dass das Madrider Abkommen (siehe oben) dieser Resolution eindeutig widerspricht, indem es das Selbstbestimmungsrecht der Sahauris ignoriert und Spanien die Möglichkeit gibt, sich der Verantwortung zu entziehen. In der zweiten Resolution zu diesem Thema (3453B) beschränkte man sich darauf, das IGH-Gutachten ohne Kommentar zur Kenntnis zu nehmen und Spanien, Marokko und Mauretanien aufzufordern, über die Beachtung der "frei geäußerten Bestrebungen des sahrauischen Volkes" zu wachen. Obwohl die beiden Resolutionen einander widersprachen, stimmten die (damals 9) Mitglieder der EG beide Male dafür. Sie wollten damit wohl eine Art Neutralität signalisieren, wie Manfred Hinz (Universität Bremen) auf einer Westsahara-Konferenz im April 1988 vermutete. Auf diese "Neutralität", wie sie sich bei Betrachtung der wirtschaftlichen Verflechtungen der EG mit Marokko darstellt, soll noch zurückgekommen werden. In der Folge wiederholte die Frente Polisario mehrmals ihren Anspruch, als Befreiungsbewegung der Westsahara anerkannt zu werden. Dies nahm die OAU zum Anlass, sich mit der Sahara-Frage auseinanderzusetzen. Am 17. OAU-Gipfel in Freetown stimmte die Mehrheit der Mitglieder für die Aufnahme der D.A.R.S. in diese Organisation. Weiters gelang die Verabschiedung eines Friedensplanes, der ein Referendum mit den Konfliktparteien unter dem Schutz einer UNO-Friedenstruppe vorsieht. Daraufhin erklärte Marokko seinen Austritt aus der OAU und ist bis heute nicht bereit, obwohl von der UNO-Generalversammlung mehrmals dazu aufgefordert, direkte Verhandlungen mit der Frente Polisario aufzunehmen. Die UNO beschränkte sich in der Zeit des verstärkten Engagements der OAU darauf, deren Bemühungen bestätigend zu kommentieren. Sie ließ aber auch eine Änderung ihrer Position zur Stellung der Polisario erkennen. Diese wurde in der Resolution der GV 34/37 erstmals im operativen Teil erwähnt und ihr besonderer Beitrag zur Lösung der Sahara-Frage mit Mauretanien 1979 hervorgehoben. Weiters empfahlen die VN, dass die Polisario als Vertreterin der Westsahara voll bei Friedensplänen mitwirken soll. Damit wurde teilweise den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung getragen. 
 Frente Polisario und D.A.R.S. Durch politische Arbeit und militärische Aktionen gegen Marokko ist es der Polisario gelungen, eine breite Anerkennung in der Bevölkerung zu erreichen. Ihre Legitimation, das sahrauische Volk zu vertreten, bestätigte auch die Mehrheit der Djemaa (von Spanien eingesetztes Scheinparlament), das in der Deklaration von El Gualta 1975 seine Auflösung beschloss. Gleichzeitig wurde von 41 Mitgliedern der Polisario, der ehemaligen Djemaa und anderen Scheichs der "Provisorische Sahrauische Nationalrat" gegründet. Dieser rief drei Monate später die Demokratische Arabische Republik Sahara aus. Nach der Annexion ihres Landes durch Marokko flüchteten tausende Sahauris nach Tindouf, wo ihnen die algerische Regierung ein Gebiet zur Selbstverwaltung überließ. Trotz der noch heute spürbaren Nachwirkungen ihrer kolonialen Vergangenheit - Analphabetismus, Mangel an Fachkräften - gelang es den Sahauris einzigartige Organisationsformen (siehe Abb.) aufzubauen. Diese hauptsächlich der Polisario zu verdankende Realität wurde von bisher 77 Staaten mit der Anerkennung der D.A.R.S. als souveränen Staat bestätigt. Eine Anerkennung durch die Generalversammlung der VN konnte bis jetzt nicht durchgesetzt werden. Stützt sich doch das "klassische" (europäische und angloamerikanische) Völkerrecht auf die "Dreielementenlehre". Danach wird erst zum Staat, wer ausreichend Gewalt über Staatsgebiet und Staatsvolk besitzt und diese durch eine effektive Regierung zu beherrschen vermag. Diese Orientierung verliert jedoch bei zunehmender Beachtung des Selbstbestimmungsrechts an Überzeugungskraft. Bei diesem Problem schwankt selbst die UNO in ihrer Argumentationspraxis. So kann man/frau mit Manfred Hinz der Meinung sein, dass "die Funktion des Selbstbestimmungsrechts nach geltendem Völkerrecht eindeutig die Anerkennung des Trägers des Selbstbestimmungsrechts im Sinne der Anerkennung als Konfliktpartei verlangt".1 Es sei dahingestellt, inwieweit "klassischen" Völkerrechtlern bloß an "sauberer" Dogmatik gelegen ist, oder ob das Völkerecht hier eher als Legitimationshilfe imperialistischer Staatenpraxis herangezogen wird. Fest steht jedenfalls, dass den westlichen Staaten mit Etablierung einer unabhängigen D.A.R.S. ihre wirtschaftliche Macht in der Westsahara verloren geht. Mit dem EG-assoziierten Marokko, das sich de facto nie aus seiner kolonialen Abhängigkeit befreien konnte, sind sicherlich leichter Geschäfte zu machen. Der erdrückende Schuldenberg, das Handelsdefizit mit der EG von rund 20 Milliarden DM jährlich und nicht zuletzt der aufreibende Krieg der Westsahara begründen die zunehmende Abhängigkeit Marokkos vom goodwill der Industriestaaten. Treffend charakterisierte Erwin Lanc diese neokolonistischen Verhältnisse: ''Zu berücksichtigen sind darüber hinaus noch die spanischen Interessen an seiner marokkanischen Enklave Mellila-Tanger und einer Unterstützung des spanischen Standpunktes in der Gibraltarfrage. Dies wiederum bringt Großbritannien ins Spiel, das ja - siehe Falkland - gerne an meeresumspülten Felswänden hochklettert. Und schließlich wollen alle EG-Europäer möglichst gut und billig vor den Gestaden Marokkos und der Westsahara fischen. Ein neuer Vertrag wurde mit Marokko abgeschlossen. Für die Westsahara erspart man sich das. Da fischen alle umsonst. Und wer anerkennt, kann auch nicht mehr umsonst fischen."2 1 Entwicklungspolitik, VIII/88 Materialien 2 ebenda

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Bild 2: Organisationsstruktur der Frente Polisario und der D.A.R.S. (Nach, Maurice Barbier, Le conflit du Sahara Occidental, Paris 1982, S. 208)
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