MEHR ERNST, HERR GESETZGEBER

Umweltschutz ist "in". Sowohl in politischen Diskussionen als auch in Gesetzen, die immer öfter Begriffe wie "Umweltverträglichkeit" oder "ökologische Funktionstüchtigkeit" beinhalten, findet dies seinen Ausdruck. Da "es sich hierbei aber oft nur um programmatische Generalklauseln handelt, bleibt dieser Umweltschutz in Gesetzesform reines Lippenbekenntnis. Die Schwächen der Gesetzgebungs- und Vollziehungspraxis veranlassten nun Dr. Benjamin Davy1 zu einer grundlegenden rechtspolitischen Kritik. Den Auftakt zu einer Flut von Umweltschutzbestimmungen - von Davy Inflation des Umweltrechts genannt - bildet das UmweltschutzB-VG vom 27.11.1984. Das Bekenntnis zum umfassenden Umweltschutz enthält weder einen Auftrag an die Gesetzgebung oder die Vollziehung, noch ordnet es irgendwelche Rechtsfolgen an, falls Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft, des Wassers und des Bodens oder zur Vermeidung von Störungen durch Lärm unterbleiben. Mit dem UmwSchBVG wurde auf das sogenannte Konrad-Lorenz-Volksbegehren reagiert. Ein rundweges Ablehnen der Forderungen der "Ausschützer" wäre politisch nicht durchsetzbar gewesen. Den WählerInnen ein Instrument zur Verhinderung von technischen Großprojekten in die Hand zu geben, hatte der Gesetzgeber - und vor allem die Bauindustrie - auch nicht im Sinne. Also entschied man/frau sich eben für ein symbolisches Zugeständnis an das "gestiegene Umweltbewusstsein". Das "Bekenntnis zum umfassenden Umweltschutz" diente so als umweltpolitische Ersatzhandlung lediglich der Optik. Davy geht es in seiner Broschüre "Folgenloses Umweltrecht" ausdrücklich um eine rechtspolitische Kritik, abgeleitet aus der rechtswissenschaftlichen Alltagserfahrung, ohne spezifische empirische Grundlage. 
 Folgenloses Umweltrecht Folgende Wertungen oder Annahmen können aber ohne weiteres auch als logische Schlussfolgerungen bezeichnet werden: Eine Rechtsordnung, die mit bloß symbolisch-unverbindlichen Inhalten überladen wird, vermag gesellschaftliche Interessenskonflikte nicht beizulegen. Stehen keine anderen Regelungssysteme zum Interessensausgleich zur Verfügung, kann das Klima eines allseitigen Benachteiligungsempfindens entstehen. Die Ausbreitung der eigentümlichen Erscheinung des folgenlosen Umweltrechts hat nachteilige Wirkungen auf das Rechtsbewusstsein. Insoweit anstelle des Rechts andere Regelungssysteme treten (z.B. nach Art der "Sozialpartnerschaft"), ist die Verfassungsmäßigkeit der staatlichen Ordnung nicht, jedenfalls nicht mit juristischen Mitteln, gewährleistet. Was sind nun die Methoden, gesetzliche Bestimmungen möglichst folgenlos zu gestalten? Hier stehen Gesetzgebung und Vollziehung drei Möglichkeiten zur Auswahl: Eine beliebte Variante ist die Nichtvollziehung des Umweltrechts unter gleichzeitiger Betonung der eigenen Verbundenheit mit ökologischen Anliegen. Ein Beispiel dafür ist der behördliche Umgang mit Sonderabfall, wo einfach hingenommen wird, dass beträchtliche Mengen gefährlicher Stoffe "verschwinden". Eine andere Möglichkeit liegt in der Abschwächung des Umweltrechtsunter dem Vorwand seiner Verstärkung, wie man/frau etwa bei der Altanlagen-Sanierung nach dem Luftreinhaltegesetz vorgegangen ist. 
 Altanlagen-Sanierung Gemäß Dampfkessel-Emissionsgesetz 1980 mussten Dampfkesselanlagen, die aufgrund des DKEG genehmigt worden waren, an geänderte Grenzwerte im Rahmen der wirtschaftlichen Zumutbarkeit angepasst werden. Altanlagen (Anlagen, die vor Inkrafttreten des DKEG genehmigt worden waren) waren gem. § 11 Abs 6 DKEG einer dynamischen Anpassungspflicht unterworfen, d.h.: Bei jeder Grenzwertverschärfung war zu prüfen, ob Umweltinvestitionen erforderlich wurden. Das Luftreinhaltegesetz für Kesselanlagen vom 1.1.1989 beseitigt nun diese dynamische Anpassungspflicht. Eine einmalige Anpassung an die Grenzwerte des LRG-K innerhalb von drei Jahren reicht aus, bzw. ist ein Weiterbetrieb nicht sanierter Anlagen bis zu sechs Jahre möglich. Jedenfalls schuf der Gesetzgeber einen neuen Gesetzeskurztitel, der - laut Erläuterungen - "besonders dem Laien verständlich machen (soll), dass dieses Gesetz auch einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen das Waldsterben leistet". Davy dazu: Indem die Begünstigung von Unternehmen als "wichtiger Beitrag im Kampf gegen das Waldsterben" bezeichnet wird, wird der Wirtschaft und der Nutzung der Technik - langfristig betrachtet - ein schlechter Dienst erwiesen: Es ist zu befürchten, dass der "Laie" ... kein Verständnis für einen solchen Etikettenschwindel zeigt. Eine dritte mögliche Variante, folgenloses Umweltrecht zu produzieren, ist die Veränderung des Textes von umweltrelevanten Vorschriften, die zwar als umweltrechtliche Errungenschaften ausgegeben werden, mit denen aber keine oder nur unwesentliche Änderungen der Rechtslage verbunden sind. 
 Das Luftreinhaltegesetz So wurde im Bereich der Luftreinhaltung nicht etwa um eine wirksame Regelung sondern um Kompetenzverschiebungen gerungen:·Die angestrebte. Kompetenzkonzentration wurde trotz tiefgreifender Eingriffe in die bundesstaatliche Kompetenzverteilung nicht erreicht. Das ist ein Ergebnis, das weder zentralistischen noch föderalistischen Interessen dient. Und auch nicht dem Umweltschutz: Die Aufsplitterung in "Bundes-" und "Landesluft" bleibt weiterhin bestehen. Dr. Davy schließt an seine rechtspolitische Kritik noch drei Wünsche an: Wenn man ökologische Probleme mit Hilfe des Umweltrechts lösen möchte, sollte man sie ökologisch lösen. Die Gesetzgebung und Vollziehung auf dem Gebiet des Umweltrechts sollte redlicher werden. Und: Das Umweltrecht sollte verteilungsbewusster werden. 
 1 Dr. Benjamin Davy ist Univ.-Ass. am Institut für Rechtswissenschaften an der TU Wien. Quelle: Benjamin Davy, "Folgenloses Umweltrecht"

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