Bundesstraßenbau in Österreich

Der "Fast-Einsturz" der Brücke von Schottwien ist in allen Zeitungen groß kommentiert worden. Für mich ist der Steinregen ein Anlass, technische Details zu vergessen und zu schauen, was hinter solchen Straßenprojekten steckt und wie es zu solch gigantonomischen Monstren kommen kann. Nicht nur für Juristen empfiehlt es sich, als Einstieg die wichtigste gesetzliche Grundlage heranzuziehen. 
 Das Gesetz Das Bundesstraßengesetz 1971 legt das rechtliche Verfahren von der Planung zur Bauausführung fest: Ein erster Schritt ist die Aufnahme einer geplanten "Bundesstraße B", Bundesschnellstraße oder Autobahn (für alle gilt das BStG) in dieses Gesetz durch Gesetzesbeschluss des Nationalrats. Auf Grund dessen ergeht regelmäßig eine Verordnung des Wirtschaftsministers, die die geplante Trasse zum "Bundesstraßenplanungsgebiet" erklärt (§14) - mit der Wirkung, dass im festgelegten Gebiet keinerlei Neu-, Zu- und Umbauten mehr vorgenommen werden dürfen. Einzige Mitwirkungsmöglichkeit der betroffenen Gemeinden und Länder: sie müssen unverbindlich gehört werden. Das weitere Verfahren bestimmt §4, bei dessen genauerer Prüfung man auf wahrlich abenteuerliche Details stößt. Durch eine weitere Verordnung wird der endgültige Straßenverlauf verbindlich festgelegt. Den betroffenen Gemeinden kommen dabei minimale Mitwirkungsrechte - nämlich Anhörungsrechte - zu (Abs. 3), die bei der Trassenfestlegung berücksichtigt werden müssen. Abs. 5 normiert eine Pflicht zur Auflegung der Planungsunterlagen zur Einsicht in den betroffenen Gemeinden und das Recht jedermanns sich zu äußern. §7a BStG enthält Bestimmungen zum Schutz der Straßenanrainer. Dessen Abs. 1 bestimmt zwar, dass "Beeinträchtigungen der Nachbarn durch den zu erwartenden Verkehr auf der Bundesstraße soweit herabgesetzt (werden sollen), als dies durch einen im Hinblick auf den erzielbaren Zweck wirtschaftlich vertretbaren Aufwand erreicht werden kann." Aber gleichzeitig mit der Einschränkung: ".... sofern nicht die Beeinträchtigung wegen der Art der Nutzung des der Bundesstraße benachbarten Geländes zumutbar ist." Von einer genauen gesetzlichen Determination der zu treffenden Vorsorgemaßnahmen kann also keineswegs gesprochen werden. Die einzelnen Maßnahmen bestimmen Dienstanweisungen zu diesem Paragraphen, die allerdings fast nur Lärmschutzmaßnahmen vorsehen - dem Hauseigentümer werden halt Lärmschutzfenster gezahlt. Die in diesen Weisungen vorgeschriebenen Grenzwerte sind außerdem sehr hoch angesetzt, was weitreichende Folgen auch außerhalb des Straßenrechts nach sich zieht. Bei Erteilung von Genehmigungen für gewerbliche Betriebsanlagen in Straßenbaugebieten nach §74 der Gewerbeordnung z.B. kann die Behörde schon von einem viel höheren Lärmniveau ausgehen: eine lärmende und Schadstoff ausstoßende Betriebsanlage wird nach dem Maßstab, der im Gewerberecht angewendet wird, leichter zu genehmigen sein, wo sie nicht mehr viel anrichten kann, weil eh schon alles versaut ist. D Bild 1: Maximalvariante as Wichtigste ist aber, dass §7a keine subjektiven Rechte gewährt. Die Äußerungen der Anrainer können berücksichtigt werden oder nicht – je nach Lust und Laune der Behörden. Es findet kein Bewilligungsverfahren statt, in dem Anrainer oder Gemeinden Parteistellung hätten. Es ergehen daher auch keine Bescheide, die von den übergeordneten Instanzen oder vom Verwaltungsgerichtshof überprüft werden könnten. Nur Enteignete können, weil mit Bescheid in ihr Eigentumsrecht eingegriffen wird, die Rechtswidrigkeit der §4-Verordnung vor dem Verfassungsgerichtshof relevieren. In der Art des Autobahnbaus hat sich seit seinen braunen Anfängen unter Hitler also, wie's scheint, kaum etwas verändert. 
 Die Praxis Rechtsnormen determinieren einerseits politische Entscheidungsabläufe ganz wesentlich, andererseits sind sie selbst Produkt politischer Entscheidungen. So sind auch Straßengesetze Ausdruck der herrschenden "Straßenbauphilosophie", die sich fast ausschließlich an Wirtschaftsinteressen orientiert. Noch immer werden wichtige Bauprojekte auf der Landkarte geplant und möglichst rücksichtslos durchgezogen, vor allem aber nie auf ihre Notwendigkeit überprüft. Ein gutes noch aktuelleres Beispiel als "Schottwien" ist die Ostautobahn A4, deren Weiterbau bis Bruck/Leitha jetzt beschlossen wurde. Statt einer Beschränkung der Neubaustrecken auf Ortsumfahrungen und drastischer Angebotsverbesserung im öffentlichen Verkehr (auch Wien-Budapest), wurde wieder die "Maximalvariante" gewählt. Eine Studie, an der u.a. das Österreichische Ökologieinstitut mitgearbeitet hat, zeigt auf, dass sich durch die neue Autobahn nicht nur die Gesamtumweltsituation des Raumes östlich von Wien drastisch verschlechtern wird, sondern die Gemeinden der Region überhaupt nicht entlastet werden. Denn eine Autobahn zieht nicht nur Verkehr an, sie schafft auch einen neuen Verkehr in gigantischen Ausmaßen. So viele Pendler und Ausflügler werden aufs Auto umsteigen, dass zusammen mit dem ebenfalls ansteigenden LKW-Verkehr in einigen Jahren der Zubringerverkehr zur Autobahn durch die Orte den Stand des heutigen Durchzugsverkehrs erreicht haben wird. Durch die bequeme Rennstrecke A4 wird der Transitverkehr Richtung Ungarn mit PKW und LKW so ansteigen, dass jene Werte der Brennerautobahn erreicht werden. 
 Die Kosten Die Investitionen in den Straßenbau sind enorm: allein für den Bau und die Erhaltung der Bundes(!)straßen und Autobahnen aus dem Budget sind im Voranschlag 1989 14,3 Mrd. ÖS, für außerbudgetäre Finanzierungen über Schuldenaufnahmen durch die ASFINAG (Sondergesellschaft zur Straßenfinanzierung) 12 Mrd. ÖS vorgesehen. Zu den Bau- und Erhaltungskosten kommen aber noch die Aufwendungen für Verkehrspolizei und Sozialversicherung (Unfalle!). Die Gesamtkosten der Personen- und Sachschäden im Straßenverkehr betrugen z.B. 1983 37,8 Mrd. ÖS. (Die Unfallhäufigkeit bei gleicher Verkehrsleistung verteilt sich dabei zwischen Bahn, LKW und PKW wie 1:33:88!). Die Folgen des Autoverkehrs auf menschliche Gesundheit, Waldsterben, Umweltsituation überhaupt treiben die Kostenseite pro Jahr so in die Höhe, dass sich das Bahndefizit von 7 Mrd. ÖS weniger als mickrig ausnimmt. Aus der sachlichen Beschreibung einer rechtlichen Situation ist dieser Artikel schon eine Anklage geworden - es war nicht zu vermeiden. 


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Bild 1: Maximalvariante