Schweizer Bundesgerichtsentscheidung:

Schweiz. (nzzlsI) "Dann gehe ich nie mehr an eine Landsgemeinde." Das war die erste Reaktion eines Innerrhoders, nachdem das Schweizerische Bundesgericht am Dienstag der letzten Novemberwoche beschlossen hatte, dass die kantonale Appenzell-Innerrhodische Verfassung bundesverfassungskonform anzupassen sei und damit den Frauen des Halbkantons Stimm- und Wahlrecht zukomme. Zur Vorgeschichte: Bekanntlich gab es in der Schweiz lange Zeit eine politische Ungleichstellung von Männern und Frauen. 1971 wurde mit Artikel 71 der Bundesverfassung das Frauenstimmrecht garantiert, allerdings mit folgendem schwerwiegenden Vorbehalt in Absatz 4: "Für Abstimmungen und Wahlen der Kantone und Gemeinden bleibt das kantonale Recht vorbehalten." Seitdem wurde mit Ausnahme Innerrhodens - überall das Frauenstimmrecht gesichert. Die Innerrhoder Landsgemeinde (die Versammlung aller stimmberechtigten Männer, die ein Kantonsparlament ersetzt) hatte erst am 29. April 1990, obschon sich bereits damals ein Gang vor das Bundesgericht bei Nichtannahme der Motion abzeichnete, das Frauenstimmrecht abgelehnt. Folgende waren nun die verfassungsmäßigen Grundlagen der Bundesgerichtsentscheidung: Artikel 16 Absatz 1 der Kantonsverfassung legt fest, dass an Landsgemeinden und Gemeindeversammlungen alle "Landsleute sowie die übrigen Schweizer" teilnahmeberechtigt sind, welche im Kanton wohnhaft, über 20 Jahre und im Stimmregister eingetragen sind. Eine Regelung, die nun nicht geändert, sondern nur auch auf Frauen angewandt werden musste. Grundlagen dieser Entscheidung des Bundesgerichts waren Artikel 4 Absatz 2 der Bundesverfassung, der Mann und Frau für gleichberechtigt erklärt, und Artikel 6 Absatz 2, welcher Kantonsverfassungen unter der Bedingung garantiert, dass sie mit der Bundesverfassung übereinstimmen und demokratische Mindestanforderungen erfüllen. Dazu gehört nach Auffassung des Bundesgerichts auch das Stimmrecht für Frauen. Das Bundesgericht ging davon aus, dass durch den 1981 geschaffenen Artikel 4 Absatz 2 ein umfassendes Grundrecht gebildet wurde, gegen das der Vorbehalt des Artikel 71 Absatz 4 nur noch zeitlich beschränkt sein konnte, sodass er nach neun Jahren als jedenfalls abgelaufen zu betrachten war. Zudem hat die Bundesversammlung damals die Ausnahme des Artikel 71 Absatz 4 nicht aufgehoben, sondern gar nicht behandelt. Man hofft nun, dass der Entscheid nach dem Abklingen erster Emotionen "mit innerrhodischer Nüchternheit akzeptiert wird".