Einschüchterungsklagen im grundrechtlichen Spannungsfeld

1. Strategic Lawsuits Against Public Participation (SLAPPs)

In Österreich ist spätestens seit diesem Jahr das Bewusstsein für ein Instrument entstanden, das gezielt zur Einschränkung demokratischer Öffentlichkeit eingesetzt wird: sog SLAPPs, Strategic Lawsuits Against Public Participation1, oder auf Deutsch: Einschüchterungsklagen.2 Die Kläger:innen, oft ökonomisch mächtige Private, staatliche Stellen oder der staatlichen Sphäre nahestehende Akteur:innen, verfolgen Strategien („Strategic“), die an primären Bedürfnissen nach Rechtsschutz vorbeigehen.3 Die Klagen wollen nicht unbedingt gewonnen werden; in vielen Fällen ist das Vorbringen nur schwach begründet. Im Vordergrund steht das Ziel, die Berichterstattung zu einem konkreten Thema oder einer Person zu unterbinden und öffentliche Stimmen verstummen zu lassen – die der Beklagten und über die abschreckende Wirkung, den sog chilling effect, auch die einer breiteren Öffentlichkeit.4 Selbst wenn die Beklagten über hohe Chancen zu obsiegen verfügen, können Kostenrisiko und die jedenfalls durch einen Prozess beanspruchten zeitlichen Ressourcen zur Zurückhaltung im öffentlichen Diskurs drängen.5 Dieser Effekt wird durch die meist ungleichen finanziellen Möglichkeiten für die Bestellung einer adäquaten Rechtsvertretung zwischen Klagenden und Beklagten verstärkt. Neben der Abschreckung verfolgen SLAPPs eine zweite Strategie: Der Diskurs wird der politischen Sphäre entzogen und einer rechtlichen zugeführt. Die politisch Anklagenden werden im Gerichtssaal zu Beklagten, sie gelangen in eine tendenziell nachteiligere Position, während das Vorbringen der Kläger:innen tonangebend in den Mittelpunkt rückt.6 Die Klagen („Lawsuits“) sind in der Regel zivilrechtlicher Art und begehren meist Unterlassung und/oder Schadenersatz.7 In Österreich kommen zB auf § 1330 ABGB8 gestützte zivilrechtliche Klagen oder eine Anklage aufgrund der Privatanklagedelikte wie §§ 111 und 115 StGB9 oder § 6 Mediengesetz10 in Betracht. Auf der Beklagtenseite stehen in den häufigsten Fällen Journalist:innen, unabhängige Medien oder NGOs („Against Public Participation“).11 In Österreich werden SLAPPs erst seit kurzem, insbesondere seit einer Klage der OMV gegen das Magazin Dossier im Jahr 2021 breiter problematisiert.12 In anderen EU-Mitgliedsstaaten und auf europäischer Ebene wird darüber bereits seit einigen Jahren debattiert; insb seit Herbst 2017, als Folge des Mordes an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, die sich zum Zeitpunkt ihres Todes über 40 Klagen gegenübersah.13

 

2. Verortung in einem grundrechtlichen Spannungsfeld

Die Debatte findet in einem grundrechtlichen Spannungsfeld statt, das sich beispielhaft anhand der Rsp des EGMR nachzeichnen lässt. Journalist:innen und Medien14, NGOs15, aber auch einzelne Social-Media-Nutzer:innen16 werden in rechtsstaatlichen Demokra- tien wichtige Aufgaben zugeschrieben: Sie schaffen einen Raum für gesellschaftlichen Diskurs und übernehmen als public watchdog eine demokratische Kontrollfunktion.17 SLAPPs trachten danach, die Wahrnehmung dieser Aufgaben zu erschweren. Dadurch werden Fragen der Meinungsfreiheit (Art 10 EMRK) aufgeworfen. Aus einer klassisch abwehrrechtlichen Perspektive kann ein Grundrechtseingriff jedenfalls in der klagsstatt- gebenden gerichtlichen Entscheidung18 ausgemacht werden.19 Insofern liegt es an den

  • 1. Vgl Pring, SLAPPs: Strategic Lawsuits against Public Participation, Pace Environmental Law Review 1989, 3; Canan, The SLAPP from
  • 2. Brunner, Geklagt, um zu schweigen, Falter 30.6.2021, 22.
  • 3. Vgl Post, Understanding the First Amendment, Washington Law Review 2012, 549 (549 f).
  • 4. Vgl Johnson/Duran, A View from the First Amendment Trenches: Washington State‘s New Protections for Public Discourse and Democ
  • 5. Vgl Post, Washington Law Review 2012, 550.
  • 6. Vgl Anthony, Quantum of strategic litigation – quashing public participation, Australian Journal of Human Rights 2009, 14/2, 1 (3)
  • 7. Vgl Pring, Pace Environmental Law Review 1989, 8.
  • 8. JGS 1811/946 idF BGBl I 2021/175.
  • 9. BGBl 1974/60 idF BGBl I 2021/159.
  • 10. undesgesetz über die Presse und andere publizistische Medien BGBl 1981/314 idF BGBl I 2020/148.
  • 11. Vgl Borg-Barthet/Lobina/Zabrocka, SLAPPs, European Parliament’s Committee on Legal Affairs, 7.
  • 12. Vgl Brunner, Falter v 30.6.2021, 22 f; vgl etwa auch Melichar/Nikbakhsh, Frage nach möglichem ÖVP-Deal. Novo- matic klagt, profi
  • 13. Philipps, How the free press worldwide is under threat, The Guardian 28.5.2020, www.theguardian.com/media/2020/ may/28/how-the-f