Zwischen Systemrelevanz und Existenzangst

1. Was ist undokumentierte Arbeit?

Von undokumentierter Arbeit sprechen wir bei UNDOK – Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentierter Arbeitender, wenn Menschen ohne Aufenthalts- oder ohne die erforderlichen Arbeitspapiere unselbstständig erwerbstätig sind 1. Begrifflich muss unterschieden werden: Nicht jede undokumentiert arbeitende Person ist ein:e undokumentierte:r Migrant:in – denn viele besitzen sehr wohl gültige Aufenthaltspapiere. Umgekehrt ist nicht jede:r undokumentierte Migrant:in auch ohne Papiere beschäftigt. Um ihre Existenz zu sichern, müssen die allermeisten Menschen arbeiten. Doch nicht allen steht der Zugang zu (unselbstständiger) Arbeit offen: In Österreich gibt es an die 30 verschiedene Aufenthaltstitel, geregelt im NAG2 und im AsylG3. Einige sind mit einem freien Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden, bei anderen ist dieser Zugang durch unterschiedliche Instrumente (Beschäftigungsbewilligung, Arbeitsmarktprüfung4, Erlässe5 ...) eingeschränkt. Je nach Aufenthaltstitel dürfen manche Personen nur selbstständig arbeiten, manche gar nicht. Durch diese Beschränkungen – man könnte auch von legaler, rassistisch motivierter Diskriminierung6 sprechen – werden Menschen ohne freien Zugang in informelle, also undokumentierte, Arbeitsverhältnisse gedrängt. Bei solchen Beschäftigungsformen entsteht rechtlich gesehen kein Arbeitsvertrag, denn ohne entsprechende Bewilligung ist dieser nichtig. Doch auch undokumentiert Arbeitende haben Rechte.7 UNDOK unterstützt sie bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche.8 Zumeist wenden sich Menschen an die Anlaufstelle, wenn sie für ihre Arbeit gar nicht bezahlt wurden oder noch Entgelt fehlt.

2. Zwischen Systemrelevanz und Existenzangst

Undokumentierte Arbeitsverhältnisse finden sich grundsätzlich in allen Branchen. Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie sind jene Branchen ins Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung gerückt, in denen Menschen besonders häufig informell arbeiten: Tourismus und Gastronomie, die als erste vom Lockdown betroffen waren, sowie die Baubranche, wo auf manchen Baustellen trotz gesundheitsgefährdender Arbeitsbedingungen weiterhin gearbeitet wurde. Pflegearbeit in Privathaushalten und Erntearbeit in der Landwirtschaft sind als „systemrelevante“ Tätigkeiten sichtbar geworden und waren wegen ihres akuten Arbeitskräftemangels für eine Weile Dauerthema in den Medien. Diese öffentliche Aufmerksamkeit steht jedoch in Widerspruch zu den realen Arbeits- und Entgeltbedingungen der Beschäftigten. Denn die Corona-Krise hat nicht nur deutlich gemacht, von wem zentrale Bereiche der Gesellschaft am Laufen gehalten werden, sondern auch wie: Unter schlechten Arbeitsbedingungen sind Menschen dazu gezwungen, gesundheitliche Risiken auf sich zu nehmen. Ganz besonders gilt dies für undokumentiert Arbeitende, die ältere Menschen rund um die Uhr betreuen, auf Kinder aufpassen, Pakete austragen, in Restaurants putzen und abwaschen, auf Baustellen arbeiten, Büroräume reinigen oder Spargel ernten. Mit der Ausbreitung der Pandemie im Frühjahr 2020 erreichten UNDOK vermehrt Anfragen rund um das Thema Existenzsicherung. Undokumentiert Beschäftigte können von ihren Arbeitgeber:innen nicht zur Kurzarbeit angemeldet werden: Zum einen kann das Arbeitsmarktservice (AMS) die Kurzarbeit für diese Gruppe gar nicht fördern, zum anderen würde sonst das undokumentierte Arbeitsverhältnis dem AMS als Behörde bekannt werden. Das wollen Arbeitgeber:innen nicht riskieren. Da undokumentiert Beschäftigte in den allermeisten Fällen auch nicht sozial- und damit nicht arbeitslosenversichert sind, können sie darüber hinaus auch keine Arbeitslosenunterstützung in Anspruch nehmen. Selbst im Fall einer vorhandenen Anmeldung zur Sozialversicherung würde die Behörde bei einem entsprechenden Antrag Kenntnis über die undokumentierte Beschäftigung erlangen. Somit haben undokumentiert Arbeitende keinen Zugang zu Leistungen, die sie – insbesondere in der Pandemiezeit – auffangen würden. Staatliche Hilfen wie der Härtefallfonds für selbstständig Erwerbstätige kommen für undokumentiert Arbeitende ebenfalls nicht infrage.9

In persönlichen Gesprächen konnten die UNDOK-Beraterinnen auch feststellen, dass gerade im Zuge der Maßnahmen während der ersten Pandemie-Welle viele Arbeitnehmer:innen nicht über Schutzvorkehrungen wie Abstand und Masken informiert waren. Aber auch noch im Frühling 2021 erreichten die Anlaufstelle Berichte über Arbeitsbedingungen, in denen sämtliche Schutzbestimmungen ignoriert wurden – so trugen in einem Betrieb die Beschäftigten keine Masken, die Verantwortlichen setzten sich über Bedenken der Belegschaft hinweg. Hier zeigte sich, dass Arbeitgeber:innen ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten nicht wahrnahmen und es verabsäumten, die Arbeitnehmer:innen entsprechend zu informieren bzw auszustatten. Für undokumentiert Beschäftigte ist es besonders schwierig, sich gegen solche Praktiken zu wehren. Auch wenn sie befürchten, mangels Schutzvorkehrungen an COVID-19 zu erkranken, überwiegt zumeist die Sorge, den Arbeitsplatz und damit das existenzsichernde Einkommen zu verlieren. Dazu kommt auch die Angst, von den Arbeitgeber:innen an die Fremdenbehörden gemeldet zu werden.

3. Die Folgen des Arbeitsplatzverlusts

Während der COVID-19-Pandemie verloren trotz Instrumenten wie Kurzarbeit und anderen staatlichen Hilfsprogrammen viele Menschen ihre Arbeit. Die Arbeitslosigkeit erreichte ein Rekordniveau. Besonders stark betroffen waren ua Personen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft10, aber auch Frauen11. Für undokumentiert Arbeitende liegen naheliegenderweise keine Statistiken vor. Allerdings zeigt sich, dass bei Menschen, die keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben, die Problematik über den Verlust des Arbeitsplatzes hinausgehen kann. Ein Beispiel dafür sind Personen mit einer Rot-Weiß-Rot-Karte (§ 41 NAG). Dieser Aufenthaltstitel berechtigt einerseits zum Aufenthalt in Österreich und beinhaltet andererseits eine Arbeitserlaubnis – allerdings nur für ein:e konkrete:n Arbeitgeber:in bzw eine Stelle. Aufenthaltsrecht und Arbeit sind also unmittelbar aneinandergekoppelt. Verliert nun ein:e Inhaber:in einer Rot-Weiß-Rot-Karte ihren:seinen Arbeitsplatz, ist auch der Aufenthalt gefährdet. Gerade in einer Wirtschaftskrise mit steigenden Erwerbslosenzahlen ist es jedoch extrem schwierig, einen adäquaten Ersatzarbeitsplatz zu finden. Zumindest berücksichtigte ein Erlass der Bundesministerin für Arbeit vom 25.3.2020 diese Situation und verfügte, dass, wenn diese Personen in Kurzarbeit gehen können, das Entgelt unter der für die Rot-Weiß-Rot-Karte geltenden Mindestgrenze keine negativen Auswirkungen auf die Rot-Weiß-Rot-Karte haben soll.12 Das Gleiche gilt für andere Maßnahmen wie Karenzierung oder unbezahlten Urlaub – diese müssen sich die Betroffenen aber natürlich leisten können. Darüber hinaus wurde auch festgelegt, dass die Zeit der Kurzarbeit für einen Umstieg auf eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus (§ 41a NAG) angerechnet wird. Inhaber:innen der Rot-Weiß-Rot-Karte können nämlich bei einer Beschäftigungsdauer von 21 Monaten innerhalb der letzten 24 Monate auf eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus umsteigen, mit der sie nicht mehr an eine:n Arbeitgeber:in gebunden sind und freien Zugang zu unselbstständiger Beschäftigung haben (§ 41a Abs 1 NAG iVm § 20e Abs 1 Z 2 AuslBG13).14 Einschränkend muss allerdings angemerkt werden, dass eine Rot-Weiß- Rot-Karte ein äußerst voraussetzungsreicher Aufenthaltstitel ist, sodass von diesem Erlass im Grunde nur hochqualifizierte bzw gut verdienende Beschäftigte profitieren können. Eine weitere Praxis, die während der COVID-19-Krise virulent wurde, war, dass Arbeitgeber:innen ihre Beschäftigten einvernehmliche Auflösungen des Arbeitsverhältnisses unterschreiben ließen und ihnen – oft nur mündlich – eine Wiedereinstellungszusage gaben. Das betraf auch viele dokumentiert Arbeitende, und Arbeiterkammer und Gewerkschaften warnen davor, eine solche Einvernehmliche zu unterschreiben, ohne sich vorher beraten zu lassen. Für Menschen mit einem Aufenthaltstitel, bei dem sie für eine unselbstständige Tätigkeit eine Beschäftigungsbewilligung benötigen – etwa drittstaatsangehörige Studierende – bedeutet das, dass mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch ihre Beschäftigungsbewilligung wegfällt. Diese Bewilligung muss beim AMS beantragt werden, und zwar von der:dem Arbeitgeber:in. Das bedeutet: Werden diese Personen entgegen der Zusage nicht wiedereingestellt, müssen sie eine:n neue:n Arbeitgeber:in finden, die:der bereit ist, die bürokratische Hürde der Beantragung einer Beschäftigungsbewilligung zu nehmen. In Zeiten einer Pandemie mit Rekordarbeitslosigkeit ist das kein leichtes Unterfangen, zumal die Bearbeitung eines Antrags auf eine Beschäftigungsbewilligung ja auch einige Zeit in Anspruch nimmt. Die Beratungspraxis hat gezeigt, dass manche Arbeitgeber:innen insb aufgrund der Unsicherheit, wann der nächste Lockdown kommt, nicht bereit waren, diesen behördlichen Weg auf sich zu nehmen. Ohne Beschäftigungsbewilligung zu arbeiten bedeutet aber, undokumentiert zu arbeiten. Insofern stellt sich der Jobverlust für Menschen, die eine Beschäftigungsbewilligung brauchen, komplexer dar als für solche mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt.

4. Zugang zu Gesundheitsversorgung ohne Angst

Obwohl UNDOK auf arbeits- und fremdenrechtliche Beratung spezialisiert ist, wenden sich wiederholt Menschen mit Fragen rund um Gesundheitsthemen an die Anlaufstelle. Hier sind es vor allem Personen ohne Sozialversicherung – oder deren Unterstützer:innen –, die sich insb über den Zugang zu Tests und Impfungen informieren wollen. In diesem Zusammenhang formierte sich gleich zu Beginn der Pandemie eine Initiative im Gesundheitsbereich, die den angstfreien Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle forderte: Unter dem Slogan „Coronafrei geht nur gemeinsam“ thematisierte die Kampagne „undokumentiert gesund“ die Angst von Menschen ohne geregelten Aufenthalt, ins Spital oder zu Ärzt:innen zu gehen, da sie eine Weitergabe ihrer Daten an die Fremdenbehörden fürchten. Zugleich, so die Initiator:innen der Kampagne, gefährde es alle, wenn einige trotz Symptomen nicht zu Hause bleiben oder ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können.15

Auch international ist die Gesundheitsgefährdung von undokumentierten Migrant:innen16 ein großes Thema. PICUM17, ein weltweites Netzwerk von 164 Organisationen, die mit undokumentierten Migrant:innen arbeiten, sammelt seit Beginn der Pandemie Informationen zum Zugang zu Gesundheitsleistungen, zuletzt insb zu Impfungen, in unterschiedlichen Ländern. Für einen breiten Zugang zu Impfungen braucht es zum einen möglichst niedrige administrative Hürden und zum anderen die Sicherheit, dass keinerlei fremdenpolizeilichen Konsequenzen folgen, wenn sich Papierlose die Impfung holen.18

5. Was ist zu tun?

Der Zugang zu Impfungen und Tests muss also für alle offen sein – und dies muss auch klar kommuniziert werden. Fehlende oder widersprüchliche Informationen dagegen steigern die Verunsicherung: Braucht man eine E-Card oder nicht? Benötigt man zwingend einen Meldezettel? Muss ich mich ausweisen? Impfaktionen wie die des Neunerhauses in Wien19 für Menschen ohne Krankenversicherung sind ein wichtiges niederschwelliges Angebot, ersetzen jedoch nicht eine flächendeckende Versorgung.20 Auf einer systemisch-politischen Ebene ist es zentral, gesicherte Aufenthaltsmöglichkeiten mit Zugang zu existenzsichernder Arbeit zu schaffen. Positive Ansätze dazu gab es ua in Portugal und Italien, die im Zuge der Pandemie zumindest befristete Aufenthaltstitel vergaben (Portugal) bzw für Beschäftigte in Branchen wie Landwirtschaft, Haushalt und Pflege Regularisierungsmöglichkeiten einrichteten (Italien). Andere Länder wiederum verlängerten bestehende Aufenthaltstitel, um eine Illegalisierung der Inhaber:innen zu verhindern.21

  • 1. Für Hinweise und Anmerkungen danken wir Radostina Stoyanova.
  • 2. Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) BGBl I 2005/1
  • 3. Asylgesetz 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl 2021/110.
  • 4. Die Arbeitsmarktprüfung ist in § 4 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG, BGBl 1975/218 idF BGBl 2021/54) geregelt und wird im
  • 5. Im Juni 2021 hob der VfGH zwei Erlässe auf, die den Zugang zu unselbstständiger Arbeit und Lehrstellen für Asylwerber:innen ma
  • 6. Zum Begriff legale Diskriminierung siehe Zinsmeister, Legale Diskriminierung im Rechtssystem, in Scherr/ El-Mafaalani/Yüksel, Ha
  • 7. Für einen rechtlichen Überblick siehe Peyrl, Die Rechtsstellung von undokumentiert beschäftigten Personen. Verpackung schön, I
  • 8. Darüber hinaus bietet UNDOK Unterstützung bei der Selbstorganisation von undokumentiert Arbeitenden. Über aufsuchende Arbeit – a
  • 9. Im Übrigen berichteten auch Organisationen wie die IG24, die sich für die Rechte von – formal zumeist selbstständig tätigen – 24
  • 10. Statistik Austria, Arbeitsmarkt während der Corona-Krise: 3% weniger Erwerbstätige im 2. Quartal 2020, Arbeitszeit nähert sich
  • 11. Kasper, Frauen von Pandemie stärker betroffen, oegb.at 2.6.2021, https://www.oegb.at/themen/arbeitsmarkt/ arbeitslosigkeit/fraue
  • 12. Rot-Weiß-Rot-Karten können für unterschiedliche Gruppen ausgestellt werden: besonders Hochqualifizierte (§ 12 AuslBG), Fachkräft
  • 13. undesgesetz vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz – AuslBG)
  • 14. Auskunft des AMS per E-Mail, 22.4.2020.
  • 15. Die Website der Kampagne ist mittlerweile offline; auf Facebook kann sie aber noch nachverfolgt werden: www. facebook.com/undoku
  • 16. ur Erinnerung: Undokumentierte Migrant:innen haben keine gültigen Aufenthaltspapiere; der Status hat mit undokumentierter Arbe
  • 17. 17 Platform for lnternational Cooperation on Undocumented Migrants.
  • 18. PICUM, COVID-19 and undocumented migrants: what is happening in Europe?, https://picum.org/covid-19- undocumented-migrants-europ
  • 19. Neunerhaus, neunerhaus impft wohnungslose Menschen, www.neunerhaus.at/nc/neuner-blog/aktuelles/detail/ neunerhaus-impft-wohnungs
  • 20. Für einen Überblick über die Auswirkungen der Corona-Krise auf wohnungslose Menschen siehe Unterlerchner/ Moussa-Lipp/Christanel
  • 21. PICUM, Regularising undocumented people in response to the COVID-19 pandemic, https://picum.org/regularising- undocumented-peopl
Weitere Details zum Artikel: 
Susanne Kimm ist Politikwissenschaftlerin und Juristin und arbeitet als Rechtsberaterin bei UNDOK; s.kimm@undok.at Vina Yun ist freie Journalistin und betreut die Öffentlichkeitsarbeit bei UNDOK; presse@undok.at