juridikum 1/2022, Thema: Klimagerechtigkeit – Bewegung im Recht, 2022, Heft 1, S. 116 - 123, thema

Im Gerichtssaal und auf der Straße – unterschiedliche Wege, ein Ziel?

Die Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland hat in manchen Bereichen ähnliche Ziele wie (strategische) Klimaklagen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist der Hambacher Forst, für dessen Erhalt Aktivist*innen und die lokale Bevölkerung jahrelang mit großem Engagement stritten. Einen Rodungsstop bewirkte aber letztlich ein Gerichtsurteil, bevor der Wald durch einen politischen Beschluss erhalten wurde. Gleichzeitig ist auch klar, dass politischer Aktivismus von sozialen Bewegungen anderen Logiken folgt als juristische Prozesse: hier viele meist ehrenamtlich Aktivist*innen, dort einzelne NGOs oder gut bezahlte Anwält*innen, hier kollektives Entscheiden, dort ein gerichtliches Verdikt, hier Elemente gelebter Utopie, dort Nutzung herrschaftförmiger Verfahren. Die These ist, dass sich beide Handlungsansätze im Kampf für gesellschaftliche Veränderung und Klimagerechtigkeit ergänzen, ohne dass ihr Verhältnis immer ganz reibungsfrei ist; die unterschiedlichen Stärken und Schwächen beider Ansätze arbeitet dieser Text heraus.

juridikum 1/2022, Thema: Klimagerechtigkeit – Bewegung im Recht, 2022, Heft 1, S. 106 - 115, thema

Klimagerechtigkeit in Österreich

Die Auswirkungen des Klimawandels sind für alle Menschen weltweit spürbar, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß und zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Da sich globale Ungleichheiten direkt in der Betroffenheit durch die Klimakrise widerspiegeln, ist die Klimakrise auch eine soziale Krise und die Frage nach Klimagerechtigkeit daher wesentlich. Dieser Beitrag soll einleitend die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs zur Umsetzung von sozial gerechter Klimaschutzpolitik und zur Erreichung von nachhaltiger und zukunftsorientierter Politik aufzeigen und im Anschluss die Umsetzung in Österreich anhand des Regierungsprogramms 2020-2024 analysieren.

juridikum 1/2022, Thema: Klimagerechtigkeit – Bewegung im Recht, 2022, Heft 1, S. 68 - 86, thema

„Klimaklagen liefern strukturell perfekte Fragen für Verfassungsgerichte“

Interview mit Verena Madner (Vizepräsidentin des österreichischen Verfassungsgerichtshofs) und Susanne Baer (Richterin des deutschen Bundesverfassungsgerichts) zur Rolle der Gerichte in der Klimakrise

Petra Sußner, Ida Westphal und Eva Pentz, Gastherausgeberinnen des juridikum-Schwer-punkts zu Klimagerechtigkeit (juridikum)*: Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) und das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) haben beide in jüngerer Vergangenheit vielbeachtete klimarelevante Entscheidungen erlassen – unter unterschied-lichen Vorzeichen, mit sehr verschiedenen Fragestellungen und auch mit unterschiedli-chen Ergebnissen. Karlsruhe hat Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes für mit den Grundrechten unvereinbar erklärt,1 Wien hat die Individualanträge gegen Steuerbefreiun-gen für die Luftfahrt zurückgewiesen.2 Wo sehen Sie Unterschiede und Gemeinsamkei-ten? Gibt es so etwas wie eine österreichische und eine deutsche „Klimaschutzrechtskultur“?Verena Madner (VM): Die beiden Entscheidungen zeigen große Unterschiede, die ich aber nicht in einer unterschiedlichen Klimarechtskultur festmachen würde, sondern daran, dass die Rechtsgrundlagen im Klimabereich sehr unterschiedlich sind und es stark auf die Verfahren ankommt, die an ein Gericht herangetragen werden – diese Faktoren bestimmen wesentlich darüber, was ein Gericht mit seiner Rechtsprechung leisten kann. In Österreich hat der VfGH bisher noch keine materielle Entscheidung in einer Klimarechtsklage getroffen. Die von Ihnen erwähnte Entscheidung zur Kero-sinsteuer ist bereits an der Frage der Zulässigkeit gescheitert. Das ist rechtlich interes-sant und zeigt, dass der Zugang zum individuellen Rechtsschutz in Österreich in sol-chen Fragen traditionell eher eng ist. Allerdings wurde diese spezifi sche Klage in ihren Erfolgsaussichten auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur von vornherein durch-gehend skeptisch beurteilt, weil die Darlegung der unmittelbaren Betroffenheit für die Kläger*innen schwierig war. Diese braucht es aber, um – bildlich gesprochen – die Pforten des Gerichtes zu durchschreiten und eine Entscheidung in der Sache zu errei-